30.03.2023 | DLF-Kampagne | BVDG reicht Beschwerde beim Hörfunkrat ein
Thema der wissentlich auf falschen Behauptungen aufbauenden Sendungen war die NEUSTART KULTUR-Förderung der Bundesregierung zur Stützung der Kulturlandschaft in Deutschland während der Pandemie.
Am 28. März 2023 erhielt der BVDG eine Antwort vom Intendanten des Deutschlandfunks auf das am 24. Februar 2023 eingereichte Beschwerdeschreiben. Seine Beschwichtigungen sind nicht geeignet, dass wir von unserer Kritik abrücken. Machen Sie sich selbst ein Bild und lesen Sie hier unsere Beschwerde sowie die darunter angefügte Antwort des Deutschlandradio (PDF).
Beschwerde an den Rundfunkrat des Deutschlandfunks
Februar 2023
Die vorliegende Beschwerde des Bundesverbandes Deutscher Galerien und Kunsthändler (BVDG) richtet sich an den Deutschlandfunk Kultur bzw. an die verantwortliche Redaktion der Serie „Die Kunst des Lobbyierens“. Hier wurden gleich mehrere Aspekte seriöser Pressearbeit verletzt. Diese sind im Folgenden unter Bezug auf die im „Journalistischen Selbstverständnis“ des Deutschlandfunks dargelegten Regularien hervorgehoben.
I. Vorbemerkung
II. Das Förderprogramm für Kunstmessen
III. Das Galerienförderprogramm
IV. Das Investitionsförderprogramm
V. Zusammenfassung
I. Vorbemerkung
Am 15. November 2022 ging eine auf mehrere Tage angelegte Folge von Berichten, Interviews, Gesprächen und Reportagen in diversen Sendeformaten des Deutschlandfunks (DLF) – überwiegend Deutschlandfunk Kultur – unter dem Titel „Die Kunst des Lobbyierens“ an den Start.(1)
Thema war NEUSTART KULTUR, ein breit aufgestelltes Projekt, das von der damaligen Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien (BKM), Monika Grütters, zur Bewältigung der akuten Phase der Corona-Pandemie und deren Folgen auf den Kulturbetrieb ab Herbst 2020 auf den Weg gebracht wurde. Fast alle Kultursparten – sowohl deren öffentliche Institutionen als auch freischaffende Solo-Selbständige und Kulturunternehmen – wurden mit einem Gesamtetat von zwei Milliarden Euro in der Pandemie unterstützt.(2) Knapp 80 passgenau konzipierte Förderprogramme sollten dazu beitragen, dass die Kulturlandschaft nicht zusammenbrach und nach der Krise möglichst unbeschadet fortbestehen konnte.
Die Deutschlandfunk-Serie nahm zuerst die Sparte der bildenden Kunst in den Blick – in die mit 100 Mio. Euro der geringste Teil des NEUSTART-Etats floss. Weitere Sparten, so hieß es, würden folgen. Es bleibt abzuwarten, ob auch die übrigen Kulturbereiche, ihre Verbände und Marktteilnehmer einer ähnlichen Diffamierung ausgesetzt sein werden, die bereits im Titel „Die Kunst des Lobbyierens“ anklingt.
Zu den Assoziationen, die dieser Titel wachruft, passt das mehrfach bemühte Bild vom „Hinterzimmer“, in das Mitgliedsgalerien des Bundesverbandes Deutscher Galerien und Kunsthändler (BVDG) und dieser selbst mitsamt der Kulturstaatsministerin hineinfantasiert wurde. Selbstverständlich haben Gespräche über Hilfsmaßnahmen seitens des BVDG mit der BKM stattgefunden. Genau dies ist die Aufgabe eines Verbandes in einer nie dagewesenen Krise mit seinerzeit unabsehbarem Ausgang.
Die Diskreditierung des Kunstmarktes fand nicht nur durch negativ konnotierte Begriffe und den Titel ihren Rahmen, sondern auch durch den Start der Serie am Tage vor der Eröffnung der ART COLOGNE, Deutschlands wichtigster Kunstmesse. Dieses Timing im Verbund mit einer „Investigativ-Recherche“ auf der Suche nach „Steuermitteln“ (auch „Kulturmilliarde“ genannt) suggerierte den Hörern des Deutschlandfunks (DLF) von Anbeginn, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen war.
Damit war die Stoßrichtung von vorn herein festgelegt – und ein Kriterium seriöser Pressearbeit verletzt: „Die Vermeidung von Sensationsberichterstattung.“ Diese ist im Pressekodex verankert und bildet einen Eckpfeiler des Journalistischen Selbstverständnisses des DLF.(3)
Die Kampagne tat der ART COLOGNE zwar keinen Abbruch. Zu abwegig war der Furor(4), mit dem das „Investigativ-Team“ gegen den Kunstmarkt zu Felde zog. Mehrere, namentlich genannte Aussteller wurden an den Pranger gestellt: Sie hätten auch in der Pandemie gute Geschäfte gemacht und keinerlei Unterstützung bedurft. Jedoch, ob unmittelbar betroffen oder nicht: Dem gesamten Kunstmarkt war unbegreiflich, dass der hochgeschätzte Deutschlandfunk eine Skandalisierung lostrat, die man eher in der Yellow Press verortet hätte.
Der verantwortliche Redakteur Thorsten Jantschek betonte stets, dass ihm und seinem Team (Fabian Dietrich und Maximilian Kuball) primär daran gelegen war, „Transparenz“ über die unterschiedlichen Förderprogramme herzustellen und die „Öffentlichkeit“ hierüber zu „informieren“.
Dabei wurde ausgeblendet, dass über die Förderinstrumente für Galerien aus NEUSTART KULTUR – es gab drei relevante Programme: für Galerieausstellungen, für Kunstmessen sowie für betriebliche Investitionen – längst zahlreiche Informationen vorlagen. Über die Förderrichtlinien und -summen, über den Adressatenkreis, die Bewerbungsfristen und Antragsmodalitäten gab (und gibt) es – flankiert von Pressemitteilungen(5) – zuhauf ausführliche Hinweise auf den Websites der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien (BKM), der Stiftung Kunstfonds, des Deutschen Verbandes für Archäologie (DVA) und des BVDG. Überall wurden Sinn und Zweck der Fördermaßnahmen vor dem Horizont der Ursache (Corona-Pandemie) und der Zielsetzung (Stabilisierung der Kulturszene) erläutert.
II. Das Förderprogramm für Kunstmessen
Ein Beispiel hierfür ist das Förderprogramm für Kunstmessen in Deutschland, das selbstverständlich auch der ART COLOGNE gewährt wurde. In einem internen Papier des Deutschlandfunks zur Recherche und Sendeplanung unter dem Arbeitstitel „Kulturmilliarden – Corona-Subvention für die Künste“ heißt es:
„Die Messeförderung an sich ist ein Beispiel für höchst erfolgreichen Lobbyismus: Bis heute taucht dieses Programm in den Zusammenstellungen aller „NEUSTART KULTUR“- Programme nirgendwo offiziell auf – wir sind eher zufällig darauf gestoßen.“
Die Macher der Sendung über die „Kulturmilliarde“ hätten allerdings bereits zwölf Monate früher über das Messeförderprogramm – das im Kunstbetrieb weitläufig bekannt war – informiert sein müssen. Sie waren es nicht und legten ihre Desinformiertheit mit maximaler Verspätung den Veranstaltern, dem BVDG und der Politik zur Last.
Schon ein Jahr zuvor, am 17. November 2021 informierte der BVDG anlässlich der Eröffnungspressekonferenz der ART COLOGNE vor zahleichen Medienvertretern ausführlich über die Kunstmesseförderung, die allen – auch den ausländischen – Ausstellern gleichermaßen zu Gute kam. Die Kultur- bzw. Kunstmarktspezialisten des Deutschlandfunks sind seit Jahrzehnten zu diesem Pressetermin der ART COLOGNE eingeladen und dort auch regelmäßig vertreten. Kein Journalist des Senders hatte sich damals für das Thema interessiert oder gar Fragen dazu gestellt.
Das Rechercheteam hatte folglich bis zum Beginn seiner Kampagne nicht registriert, dass auf den Websites deutscher Kunstmessen bereits seit über einem Jahr die obligatorischen Hinweise „Gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien“ nebst NEUSTART KULTUR-Logo eingestellt waren.(6)
Richtig ist: Das Förderprogramm für Kunstmessen wurde erst Mitte 2021 auf Initiative des BVDG in das Portfolio von NEUSTART KULTUR aufgenommen. Dies geschah vor dem Hintergrund der problematischen Situation, dass die deutschen (und internationalen) Kunstmessen als unverzichtbare Marktplätze für Galerien seit Ausbruch der Pandemie permanent verschoben wurden oder gar nicht mehr stattfanden.
Das Programm zählte zu den wenigen Maßnahmen, die direkt von der BKM administriert wurden. Die bewilligten Summen flossen an die (durch die Pandemie schwer in Mitleidenschaft gezogenen) Messeveranstalter, die den Galerien somit eine Teilnahme zu ermäßigten Standmieten ermöglichen konnten. Dieses unbürokratische, rein pauschale Verfahren wurde nicht durch eine Bedarfsprüfung jedes einzelnen Ausstellers strapaziert, denn die Absicht der BKM war, eine strukturelle Unterstützung des Formats Kunstmesse zu ermöglichen.(7)
Dessen ungeachtet stand in jeder Sendung der „Kunst des Lobbyierens“ das angebliche Versäumnis der „Bedarfsprüfung“ im Zentrum der Kritik. Exemplarisch hierzu: „Mit der ‚Kulturmilliarde‘ wurden Galerien und Kunstmessen gefördert, ohne den Bedarf zu prüfen.“(8)
Dieses Zitat ist beispielhaft für eine bewusste Irreführung der Hörer des DLF. Der Kunstmarkt erhielt keine Milliarde, wie das Zitat suggeriert, sondern einen Bruchteil davon: Für das Galerienförderprogramm standen 16 Mio. Euro zur Verfügung, für die Kunstmessen 15 Mio. Euro.(9)
Bei den NEUSTART KULTUR-Programmen für den Kunstmarkt handelte es sich also um eine Infrastrukturförderung, die sinnvollerweise keine Unternehmen von der Förderung ausschloss. Marktstarke Galerien galten als ebenso förderwürdig wie regionale, weniger renommierte Galerien. Die politischen Entscheidungsträger erkannten klar, dass der Kunstbetrieb eine Gesamtheit von Einzel- und Kleinunternehmen sowie unterschiedlichsten Gewerken darstellt, in der sich Kulturarbeit und Wirtschaft durchdringen. Dieser gesamte Betrieb, inklusive der Künstler:innen, sollte – so der kulturpolitische Wille – nach der Pandemie seine Tätigkeit möglichst ohne Läsionen wiederaufnehmen können.(10)
Das Redaktionsteam des DLF war hingegen darauf fixiert, dass sich nur „Bedürftige“ zu den Förderprogrammen hätten bewerben sollen. „Bedarfsprüfungen“ sind jedoch einzig im Sozialhilfebereich relevant, nicht in der Kulturförderung. Aus diesem grundlegenden Missverständnis leiteten die Redakteure sodann ihren populistischen Appell nach einer „Rückzahlung“ der Förderungen durch vermeintlich „reiche Galeristen“ ab.
Der Deutschlandfunk hat sich aus unserer Sicht hier nicht „an der Sache orientiert“; Fakten zu strittigen Themen wurden nicht „sachlich dargestellt und für die Meinungsbildung wichtige Tatsachen [wurden] weggelassen“. Das Meinungsbild der Hörer wurde manipuliert und dem „Gebot journalistischer Fairness“ wurde nicht entsprochen.(11)
Nicht nur, dass das Redaktionsteam die Struktur öffentlicher Förderung und zugängliche Quellen nicht zur Kenntnis nahm. Es hat auch bereitwillig erhaltene Informationen hierzu ignoriert. So erhielt der BVDG am 11. November 2022 vom DLF (hier: Max Kuball) ein Dutzend Fragen zugesandt, die wunschgemäß am darauffolgenden Montag, den 14. November 2022 beantwortet wurden.(12)
Diese Fragen spiegelten die Voreingenommenheit und den mangelhaften Kenntnisstand der Redakteure. Der BVDG hat alle Fragen deshalb präzise beantwortet. Im Einzelnen: zu den politischen Aktivitäten des Verbandes in der Corona-Krise und seine Rolle im Stiftungsrat des Kunstfonds, über die Besetzung von Jurys, über die coronabedingten Umsatzeinbrüche der Galerien sowie zu den Besonderheiten des Galerien- und Messeförderprogramms.
Wir mussten jedoch feststellen, dass die Mühe vergebens war. Denn von der Startsendung „Corso“ am 15. November bis zur Abschlussendung am 18. Dezember 2022 („Stunde 1 Labor“) wurden unwahre Behauptungen – beispielsweise über die Jury des Galerienförderprogramms –
stets von neuem wiederholt.
Die Vermutung liegt nahe, dass die „Kunst des Lobbyierens“ ein von Anbeginn festgelegtes Narrativ verfolgte, dass möglichst nicht durch klärende oder gar korrigierende Informationen angetastet werden sollte. Dies widerspricht den Richtlinien der Berichterstattung, wonach „deren Sinn durch die Art der Zusammenstellung … bzw. die Bearbeitung weder entstellt noch verfälscht werden [darf]. … Veröffentlichte Behauptungen, die sich nachträglich als falsch erweisen, sind auf angemessene Weise richtigzustellen.“(13) Das journalistische Gewissen der DLF-Redakteure sah sich hierzu leider nicht imstande; Falschaussagen blieben im Raum stehen und hintertrieben das Gebot umfassender, sachlicher und wahrheitsgetreuer Berichterstattung.(14)
Auch wollten die Redakteure glauben machen, der Kunstmarkt habe in der Pandemie wirtschaftlich nicht oder kaum gelitten. Diese bloße Meinung stand im Kern der gesamten Serie, aus ihr heraus spross eine Kaskade an Fehlurteilen – zumal infolge der Verwechslung von Umsatz und Gewinn. Entgegen ihren Beteuerungen hatten die Redakteure auch keine Gespräche mit kleinen und mittelständischen Galerien geführt, was ihren Blick auf den Kunstmarkt erheblich verengte. Die Handvoll an Galerien, die in den Sendungen oder als Interviewpartner zu Wort kamen, waren fast alle Aussteller der ART COLOGNE, also eher etablierte Marktakteure.(15)
So wundert es auch nicht, dass in keiner Sendung der „Kulturmilliarde“ die wichtigste Studie zur Situation der Kulturwirtschaft in der Pandemie auch nur erwähnt wurde. Der BVDG hatte explizit auf den „Monitoringbericht“ des Bundeswirtschaftsministeriums hingewiesen – nicht zuletzt deshalb, weil hier die Prognosen des BVDG über 40% Umsatzeinbrüche im Kunstmarkt in der Pandemie anhand von Zahlen aus der Umsatzsteuerstatistik (Destatis) verifiziert wurden.(16)
Das Ignorieren von (angeforderten) Stellungnahmen und Hinweisen auf weiterführende Quellen hat zu einer einseitigen Berichterstattung geführt, die offenkundig ein vorab feststehendes Meinungsbild des Rechercheteams bestätigen sollte. Dies widerspricht den Programmrichtlinien des DLF, wonach „es zur sorgfältigen Vorbereitung [gehört], die Betroffenen, soweit erforderlich und möglich, zu hören und deren Auffassung nicht außer Acht zu lassen“.(17)
III. Das Galerienförderprogramm
Das Galerienförderprogramm aus NEUSTART KULTUR stand ebenfalls im Fokus der Serie „Die Kunst des Lobbyierens“. Wirtschaftlich starke Galerien hätten sich hieran „bedient“ – so der Tenor. Abgesehen davon, dass erfolgreiche Galerien bei ungleich höherem Kostenapparat in der Pandemie ebenfalls vor dem Problem standen, ihren Betrieb aufrecht zu erhalten, hätte auch hier ein Blick des DLF-Rechercheteams in die Fördergrundsätze weiterer Verunglimpfung Einhalt bieten können:
Eine bewilligte Förderung wurde gemäß der vorgegebenen Fördergrundsätze „als nicht rückzahlbarer Projektzuschuss gewährt“. Dieser Sachverhalt wurde von den Machern der Sendungen kategorisch ausgeblendet; stattdessen ertönte abermals der substanzlose Ruf nach „Rückerstattung“. Es wurde auch nicht gewürdigt, dass es sich bei dem Galerienprogramm um Ausstellungsförderungen gehandelt hatte – in der Regel um künstlerische Einzelpositionen, seltener um Gruppenausstellungen. Es wurden also keine Betriebe finanziert, sondern Ausstellungsprojekte.(18)
Die Auswahl wurde von einer Fachjury vorgenommen; in zwei Runden erhielten vier- bis fünfhundert Galerien eine Bewilligung. Das bedeutet – und so war es politisch auch gewollt: Vom Galerienförderprogramm profitierten mindestens ebenso viele Künstler:innen wie Galerien. Rundfunkjournalisten, die auch in der Pandemie ihrer beruflichen Tätigkeit nachgehen konnten, sollte die positive Vorstellung nicht schwerfallen, dass bildende Künstler:innen in einer Zeit geschlossener Museen und Kunstvereine somit eine einzigartige Möglichkeit hatten, ihre Werke – wenngleich mit Einschränkungen – öffentlich zu zeigen.
Die Stiftung Kunstfonds gab unmittelbar nach den Jurysitzungen die Listen der ausgewählten Galerien per Pressemitteilung bekannt, stellte sie online und wurde somit der Forderung nach Transparenz gerecht. Die jeweilige Fördersumme, die bekanntlich zwischen 5.000 und 35.000 Euro lag, wurde dabei wohlweislich nicht eigens genannt.
Die Auszahlung der Gelder durch die Stiftung Kunstfonds fand erst nach Vorlage sämtlicher Originalbelege zu den Ausgaben sowie Nachweisen von Zahlungsflüssen statt. Die geförderten Galerien hatten sich an die Vorgaben der Bundeshaushaltsordnung zu halten. Dieser vielfach mitgeteilte Umstand wurde von dem Redaktionsteam ebenfalls ignoriert. Erst fünf Wochen nach Serienbeginn bekunden Thorsten Jantschek und Max Kuball in der Sendung „Wie gerecht ist Neustart Kultur?“(19), dass sie an diesem Punkt dazu gelernt und genauer hätten recherchieren sollen.
Jene Sendung aus dem Format „Stunde 1 Labor“ am 18. Dezember 2022 verdient eine genauere Betrachtung, denn sie stellt das Finale der Serie dar. In einem Zwiegespräch (Jantschek zu Kuball: „Wie geht es Dir, wenn Du auf den Kunstmarkt schaust?“) tauschen sich die beiden Redakteure über die Resonanz aus. Es habe viel Kritik, aber noch mehr Anerkennung gegeben – insgesamt habe man alles richtig gemacht.
Diese abschließende Bewertung fand ohne den neutralen Blick eines Dritten statt und so ergingen sich Thorsten Jantschek und Max Kuball in einem Gespinst an Eigenlob.
Passend dazu wurden hier abermals Unwahrheiten wiederholt, etwa, der BVDG habe versucht, die Zusammensetzung der Jury des Galerienförderprogramms zu „beeinflussen“. Richtig ist: Der BVDG ist seit Jahrzehnten Mitglied des Kunstfonds-Stiftungsrates und konnte deshalb, wie alle anderen Mitgliedsverbände auch, Juroren für die zwölfköpfige Jury vorschlagen. Die Juroren(20) wurden sodann in demokratischer Abstimmung gewählt.
In keiner Folge der „Kunst des Lobbyierens“ hielten es die DLF-Redakteure für nötig, darauf hinzuweisen, dass die Künstlerschaft in den Jurys stets überwog und somit erheblich mehr Einfluss nehmen konnte als die Galeristen – auch im Galerienförderprogramm. Allein die Stiftung Kunstfonds hatte im Rahmen von NEUSTART KULTUR mehrere, ausschließlich für Künstler:innen konzipierte Förderprogramme aufgelegt. Lediglich zwei Galeristen durften hier innerhalb von 16 Juroren mitentscheiden.
Stattdessen behaupten Jantschek und Kuball allen Ernstes, der BVDG habe dafür gesorgt, vier galerieaffine Künstler in die Jury des Galerienförderprogramms aufzunehmen. Wörtlich: „Bei dem Galerienprogramm haben die Kunsthändler versucht, Einfluss zu nehmen …. Sie haben sich Künstlerinnen und Künstler gesucht, die dem Geschäftsmodell und der Denke der Galeristen nahestehen. Das ist dann auch passiert, es wurden vier Leute vom BVDG als Jurymitglieder vorgeschlagen ... Pro Forma Künstlerinnen und Künstler aber in der Sache dann doch Künstlerinnen und Künstler, die dem BVDG nahestehen.“(21)
Diese inkonsistente Formulierung enthält eine vollständig unwahre Aussage. Der BVDG hat keine Künstler:innen für keine Jury der diversen Förderprogramme vorgeschlagen. Sollten sich Personen außerhalb des Stiftungsrates berufen gefühlt haben, bei der BKM oder dem Kunstfonds derartige Vorschläge zu machen, so hatte dies keinerlei Einfluss auf die unabhängigen Entscheidungen des Kunstfonds-Stiftungsrats.
Die (wiederholt) unwahre Behauptung über die Juroren verstößt gegen das Gebot der „Wahrhaftigkeit und der journalistischen Sorgfalt“, die im Pressekodex an erster Stelle genannt werden.(22) Das geforderte „Faktencheck und Plausibilitätskontrolle“ fand nicht statt.(23)
IV. Das Investitionsförderprogramm
Last but not least kulminierten die Ressentiments gegen den Kunstmarkt im Hinblick auf das „Pandemiebedingte Investitionsförderprogramm“, das vom Deutschen Verband für Archäologie (DVA) ausgeschrieben und verwaltet wurde.(24) Dabei handelte es sich um ein Förderinstrument aus NEUSTART KULTUR, dass sich an überwiegend selbst finanzierte Ausstellungshäuser richtete. Hierzu zählen auch Galerien. Beantragt werden konnten Mittel zur Ausrüstung mit ITTechnik zwecks Digitalisierung von Ausstellungen, Marketing und Kommunikation in Zeiten von Lockdowns mit beschränktem oder gänzlich untersagtem Publikumsverkehr sowie diverse Infektionsschutz- und Umbaumaßnahmen.
Sobald von dieser Fördermaßnahme die Rede war, verfiel das Redaktionsteam regelmäßig in einen derben Jargon und bezeichnete das Programm als „Archäologentopf“ zur Finanzierung von „Kloschüsseln“. In der Sendung „Kulturzeit“ (3sat am 22. November 2022) kaprizierte sich Fabian Dietrich in besonderer Weise herablassend mit Aussagen, deren eklatante Fehlerhaftigkeit der BVDG bereits dargelegt hat (siehe Anm., Kommentar im Link(25)).
Fabian Dietrich kündigte in der Kulturzeit-Sendung zudem an, das Redaktionsteam werde sich nötigenfalls mit anwaltlicher Hilfe weitere Informationen beschaffen. Ähnliche Drohgebärden kamen bereits im Vorfeld zum Einsatz. Der Deutsche Kulturrat bemerkt hierzu: „Über Monate hinweg hatte ein Team von drei Investigativjournalisten bei den Bundesverbänden, Bundeskulturfonds und Stiftungen … recherchiert. Sie mit Fragebögen und Nachfragen überzogen und sich nicht entblödet, mit negativen Folgen zu drohen, wenn weitergesagt würde, dass sie investigativ recherchieren.“(26)
Der BVDG war mithin nicht der einzige Kulturverband, der einer grenzwertigen Agitationsweise des Deutschlandfunk-Teams ausgesetzt war, das gegen ein weiteres Gebot aus den Compliance-Regeln des DLF verstoßen hat, nämlich „keine unlauteren Methoden anzuwenden“.(27)
Die DLF-Redakteure, deren Recherche vornehmlich der Verwendung von Steuermitteln in der Pandemie galt, hatten offenbar auch keine Kenntnis von einer wichtigen Veröffentlichung des Deutschen Bundestages zur Finanzierung der Corona-Hilfsprogramme. Diesbezügliche Antworten auf 33 Fragen der CDU/CSU-Fraktion durch die Staatsministerin für Kultur und Medien standen bereits seit März 2022 online.(28)
Darin wird nicht nur die allseits bekannte, bedrohliche Lage der Kulturszene in der Pandemie sowie die Intention erläutert, die mit den Hilfsmaßnahmen verbunden war. Hier wurde auch erstmal umfängliches Zahlenmaterial in einer vorläufigen Gesamtschau zusammengestellt – zwar nicht branchenspezifisch und wohlweislich nicht mit Nennung individueller Zuwendungshöhen und Empfängernamen. Aber die Aufstellung(29) zerstreut ob ihrer Ausführlichkeit jeden Zweifel, dass die BKM nicht zu gegebener Zeit weitere Details über die Mittelverteilung aus NEUSTART KULTUR bekannt geben wird – zumal eine Evaluation vorgesehen ist.
Überdies müssen öffentliche Mittel vergebende Stiftungen und Verbände grundsätzlich über die korrekte Ausschreibung und Abwicklung von Förderprogrammen Rechenschaft ablegen. Sie werden auch regelmäßig vom Bundesverwaltungsamt und Bundesrechnungshof geprüft.
Für den BVDG erhärtet sich auch an dieser Stelle der Eindruck, dass die „Kunst des Lobbyierens“ mit ihrem vermeintlichen Ansinnen, der Verwendung von Steuermitteln auf die Spur zu kommen, zu einem Sturm im Wasserglas ansetzte, deren Antrieb im Dunkeln bleibt. Auf der Strecke geblieben ist dabei auch der Datenschutz, denn die Redakteure stellten individuelle Galerienamen unter Nennung von Zuwendungshöhen ins Netz.
Die Defizite der redaktionellen Arbeit des DLF-Teams wurden auch am Rande deutlich. Hierzu zwei Beispiele:
Dr. Karin Lingl – als Geschäftsführerin der Stiftung Kunstfonds mit allen Fragen der Kulturförderung bestens vertraut – stand dem DLF am 7. Dezember 2022 zum zweiten Mal in einer „Corso“-Ausgabe als Interviewpartnerin zur Verfügung. Sie kommentierte die mehrfach fehlerhafte Bezeichnung zu ihrer Person und zum Kunstfonds wie folgt: „Mit Verlaub: So viele handwerkliche Fehler nur eine Einrichtung/Person betreffend? Für eine seriöse und ernst zu nehmende Recherche würde ich mir eine sorgfältigere Redaktion wünschen.“(30)
„Die Kunst des Lobbyierens“ wird auf der Website des DLF mit der Abbildung eines Schriftzugs „TAKE THE MONEY AND RUN“ illustriert. Dabei handelt es sich um ein Kunstwerk, bestehend aus beleuchteten Neonröhren. Dieses Werk war auf der ART COLOGNE 2022 auf dem Stand einer Berliner Galerie ausgestellt und wurde von Thorsten Jantschek fotografiert. Er setzte sodann seinen eigenen Namen – und nicht etwa jenen des Urhebers, Kerim Seiler – als Copyright in die Bildlegende. Bis heute, im Februar 2023, findet sich das Werk mit urheberechtsverletzender Bildlegende auf der Website des Deutschlandfunks.(31)
V. Zusammenfassung
Ein Redaktionsteam von Deutschlandfunk Kultur unter der Leitung von Thorsten Jantschek verfolgte Ende 2022 in der Serie „Die Kunst des Lobbyierens“ eine Agenda, die zu einer Diskreditierung der Coronahilfen aus NEUSTART KULTUR führte. Davon waren nicht nur die politischen Akteure betroffen, die in einer Krise ohne Drehbuch schnell und konstruktiv handelten, sondern auch Stiftungen und Verbände, die unter extremem Druck zusätzliche Förderprogramme durchzuführen hatten. Betroffen waren zudem Galerien, die im Gegensatz zu anderen Kulturwirtschaftszweigen erstmals überhaupt staatliche Unterstützung erhielten.
Die hier aufgeführten Beispiele zeigen deutlich, dass zentrale Kriterien der Compliance-Regeln des Deutschlandfunks – etwa das Gebot der Vermeidung von Sensationsberichten und die Pflicht zur journalistischen Sorgfalt – von den Redakteuren missachtet wurden. Eine Hemmschwelle vor Kolportage von Unwahrheiten gab es ebenfalls nicht. Dazu gesellte sich Ignoranz gegenüber öffentlich zugänglichen Informationen und Hinweisen von Experten zur Erhellung der Marktsituation und der Struktur von Förderprogrammen in der Pandemie. Die Situation mittelständischer und kleiner Galerien, die den Kunstmarkt überwiegend prägen, wurde entgegen den Behauptungen der Redakteure nahezu vollständig ausgeblendet.
Das Mantra sozialer Bedarfsprüfung – die in der Kulturförderung nicht erforderlich ist – wurde als Munition gegen namentlich genannte Galerien eingesetzt und traf letztlich den gesamten Kunstbetrieb. Es wurde unterschlagen, dass die Coronahilfen aus NEUSTART KULTUR keinem einzigen Unternehmen zur freien Verfügung standen, sondern ausschließlich im Rahmen verbindlicher Förderrichtlinien für einen festgelegten Zweck und erst nach Vorlage diverser Nachweise gewährt wurden. Das Redaktionstrio insinuierte überdies Verschwendung von Steuermitteln unter Verweis auf einen ominösen Datensatz, dessen bedarfsweise veröffentlichte Zahlen gänzlich ohne Aussagekraft darüber blieben, dass und wie diese Mittel verwendet worden
sind – nämlich gemäß ihrer Zielsetzung.
Dementsprechend zeigten die Redakteure keinerlei Interesse an der inhaltlichen Umsetzung der Förderprogramme. Durch die Selbstbeschränkung auf eine „rein auf Zahlen basierten“ Reportage rückten Ausstellungs- oder Buchprojekte, die durch NEUSTART KULTUR ermöglicht wurden, erst gar nicht in den Blick. Der Anspruch der Hörer, sich über die substantiellen Auswirkungen der Förderungen auf die Kulturszene, auf die Künstler:innen und ihren Markt ein Bild zu machen, wurde nicht erfüllt. Der Erfolg der Corona-Hilfen wurde abgestraft und eine unverantwortliche Neiddebatte befördert. Es fand eine beispiellose Kampagne eines Kultursenders gegen die Kultur statt.
Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler e.V.
Berlin, im Februar 2023
ANMERKUNGEN:
1 Die Sendungen sind, nebst Textkommentar und Grafiken, auf der Website des DLF abrufbar.
https://www.deutschlandfunkkultur.de/kulturmilliarde-corona-neustart-kul...
2 Hinzu kam ein Sonderfonds des Bundes allein für Kulturveranstaltungen in Höhe von 2,5 Mrd. Euro.
3 Journalistisches Selbstverständnis. Hrsg. Deutschlandradio Köln, Stand 2020, S. 19
https://assets.deutschlandfunk.de/1dab440b-d0af-4b3a-a030-a01c4ad123e7/o...
4 Passend hierzu Olaf Zimmermann: „Wozu dieser Furor?“ In: Politik & Kultur, Nr. 12/22-01/23, S. 3
5 z.B. auf der Website des BVDG: https://www.bvdg.de/aktuell_NeustartKultur_Messefoerderung_02
6 siehe Websites der Art Karlsruhe, Positions Berlin, Highlights München, Art Düsseldorf etc.
7 Entsprechend wurde auch mit den beiden Buchmessen in Frankfurt und Leipzig verfahren.
8 Website des DLF, a.a.O., Anm. 1
9 Hinzu kommt das „Pandemiebedingte Investitionsförderprogramm“, siehe S. 7. Über die Gesamtförderhöhe für Galerien konnte der Deutsche Verband für Archäologie als Administrator des Programms bis Februar 2023 noch keine abschließende Auskunft geben.
10 So die Stiftung Kunstfonds in einer abschließenden Pressemitteilung vom 17. Januar 2023: Mit den Sonderförderprogrammen aus NEUSTART KULTUR „wurde die qualifizierte Kunstszene in Deutschland nicht nur während der Pandemie substanziell gestärkt, sondern auch ein wegweisender Impuls für die Zukunft gesetzt“.
11 a.a.O. Journalistisches Selbstverständnis, Programmrichtlinien Deutschlandradio, S. 11 f.
12 https://www.bvdg.de/aktuell_NEUSTART_KULTUR_notwendig_und_zielfuehrend
13 a.a.O. Journalistisches Selbstverständnis, Programmrichtlinien Deutschlandradio, S. 12.
14 siehe hierzu a.a.O. Journalistisches Selbstverständnis, Programmrichtlinien Deutschlandradio, S. 10 (Qualitätskriterien).
15 Selbst als sich einige kleine, mittelständische Galerien über den eigens vom DLF eingerichteten E-Mail-Account zu Wort meldeten und einen differenzierten Einblick in ihre Situation während der Pandemie boten, setzte der DLF seine einseitige Berichterstattung über den Kunstmarkt fort.
16 Monitoringbericht zur Kultur- und Kreativwirtschaft. Hrsg. BMWK, abrufbar unter https://www.kultur-kreativwirtschaft.de/KUK/Redaktion/DE/Publikationen/2022/monitoringbericht-kultur-und-kreativwirtschaft-2021.html
17 a.a.O. Journalistisches Selbstverständnis, Programmrichtlinien Deutschlandradio, S. 12.
18 Laut den Fördergrundsätzen sollte vornehmlich die „Vermittlungsarbeit“ von Galerien unterstützt werden, also Ausstellungen und Publikationen.
19 Stunde 1 Labor am 18. Dezember 2022: https://www.deutschlandfunkkultur.de/existentielle-not-undkuenstlerische-exzellenz-wie-gerecht-ist-neustart-kultur-dlf-kultur-4583e598-100.html
20 Der BVDG hatte für das Galerienförderprogramm zwei Kunsthändler (die sich beide nicht bewerben durften) sowie eine nicht mehr tätige Galeristin vorgeschlagen. Darüber hinaus bestand die Jury aus einer (1) Kuratorin, einem (1) Kunstkritiker und sieben (7) freischaffenden Künstler:innen.
21 Max Kuball in: Wie gerecht ist Neustart Kultur? Deutschlandfunk, Stunde 1 Labor vom 18. Dezember 2022
22 a.a.O. Journalistisches Selbstverständnis, Der Pressekodex, S. 19
23 a.a.O. Journalistisches Selbstverständnis, Redaktionelle Praxis, S. 5
24 Der vollständige Titel lautet: „Pandemiebedingte Investitionen in Kultureinrichtungen zur Erhaltung und Stärkung der bundesweit bedeutenden Kulturlandschaft"
25 https://www.bvdg.de/Klarstellung_Investitionsfoerderprogramm
26 a.a.O. Olaf Zimmermann: „Warum dieser Furor?“
27 a.a.O. Journalistisches Selbstverständnis, Richtlinien der Berichterstattung, S. 12
28 „Folgen der Coronapandemie im Kultur- und Medienbereich beziffern – Wirksamkeit der Coronazuschussprogramme evaluieren“, Bundestagsdrucksache 20/1180, online unter:
https://dserver.bundestag.de/btd/20/011/2001180.pdf
29 Auch die Überbrückungshilfen des Bundeswirtschaftsministeriums werden hier berücksichtigt.
30 Dr. Karin Lingl an DLF-Redakteure, E-Mail vom 11.12.2022
31 https://www.deutschlandfunkkultur.de/take-the-money-and-run-die-kunst-und-die-kulturmilliarde-dlf-kultur3a02c4e5-100.html