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Ten Years After | Die ermäßigten Mehrwertsteuer für Galerien ist wieder möglich
/// RÜCKBLICK
Kunst ist Kulturgut. Und dafür gilt in Deutschland der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 7%.
Ohne Rücksicht auf dieses Prinzip wurde im Jahr 2014 die Steuerermäßigung für den gewerblichen Verkauf von Kunstwerken in Deutschland abgeschafft. Eine Mehrwertsteuersystem-Richtlinie der EU aus dem Jahr 2006 lieferte hierzu die Steilvorlage. Als Deutschland die Richtlinie gezwungenermaßen umsetzte, wurde ein zentraler politischer Grundsatz – nämlich den Kulturbereich mittels Steuerermäßigung indirekt zu fördern – für den Handel mit Kunstwerken zunichte gemacht.
Seither erleiden Galerien durch Vollbesteuerung eine massive Ungleichbehandlung:
1. im Verhältnis zu Künstler:innen (für sie gilt weiterhin der ermäßigte Steuersatz von 7%),
2. im Vergleich zu kulturellen Gütern und Darbietungen anderer Sparten (Bücher, Konzerte, Kino- und Theatertickets etc. – ebenfalls 7%),
3. gegenüber marktstarken Wettbewerbern in Frankreich (5,5%), in der Schweiz (7,7%), in England (5,5%) und New York (8,85%).
Die Abschaffung der Steuerermäßigung führte seit 2014 zu zahlreichen Schließungen von kleinen und mittelständischen Galerien. Nachwuchs gibt es im deutschen Kunstmarkt seither kaum[1] und die Umsätze stagnieren[2].
/// STATUS QUO
Nach zehnjähriger Ungleichbehandlung haben Galerien und Kunsthändler nun wieder Grund zur Hoffnung: Der Europäische Rat will den Mitgliedstaaten mehr Spielräume in der Steuergesetzgebung gewähren und hat deshalb am 5. April 2022 eine Änderungsrichtlinie zu den Mehrwertsteuersätzen erlassen[3]. Darin findet sich ein Katalog mit rund 30 unterschiedlichen Gütergruppen und Dienstleistungen, für die Steuerermäßigungen prinzipiell erlaubt sind. Auch „Kunstgegenstände und Sammlungsstücke“ sind hier gelistet. Künftig dürfen und können alle EU-Länder die ermäßigte Mehrwertsteuer für den gewerblichen Kunsthandel also wieder einführen.
Nun liegt es an den jeweiligen Mitgliedstaaten, die EU-Mehrwertsteuer-Änderungsrichtlinie in nationales Recht umzusetzen. Als Frist hierfür ist der 1. Januar 2025 vorgesehen.
Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz wurde 2020 sogar für digitale Medien eingeführt. Wo ein Wille ist, scheint auch ein Weg zu sein. Sollten digitale Massenmedien etwa „mehr Kultur“ sein als von Künstlerhand geschaffene Originale?
Der BVDG setzt sich seit einem Jahrzehnt für die Wiedereinführung der Steuermäßigung für Galerien ein. Politische Ansprechpartner haben stets darauf hingewiesen, dass dies ausschließlich auf einer unionsrechtlichen Grundlage möglich ist. Diese liegt nun vor und Frankreich hat bereits reagiert: Die Regierung hat per Haushaltsgesetz festgelegt, dass ab dem Stichtag 1. Januar 2025 für alle Kunstverkäufe in Frankreich der ermäßigte Mehrwertsteuersatz gelten wird. Dort werden es sogar nur 5,5% sein – also fast der niedrigste Steuersatz, den die neue EU-Richtlinie erlaubt.
Deutschland sollte es seinem engsten Partner in der Europäischen Union gleichtun und für seine Galerien ebenfalls das Beste ermöglichen: Die Wiedereinführung der 7%! Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat dies auf ihre Agenda gesetzt und will sich „mit Nachdruck für eine zügige Umsetzung dieser Begünstigung in nationales Recht gegenüber dem Bundesministerium der Finanzen als federführendes Ressort einsetzen“ [4].
Damit der ermäßigte Mehrwertsteuersatz ab 1. Januar 2025 von Galerien in Deutschland wieder angewendet werden kann, muss § 12 Abs. 2 Nr. 1 UstG des Jahressteuergesetzes im Laufe dieses Jahres gemäß der neuen EU-Änderungsrichtlinie geändert werden.
/// AUSBLICK
Der BVDG fordert die Bundesregierung und insbesondere Finanzminister Christian Lindner zum Handeln auf. Die Zeit ist reif, die Galerien vom Bleigewicht des Regelsatzes zu erlösen. Die steuerliche Diskriminierung und die damit einhergehende Abwertung der kulturellen Leistung der Galerien muss ein Ende nehmen.
Die Wiedereinführung der Steuerermäßigung für Galerien ist keine Subvention oder Privilegierung, sondern die Korrektur einer vorherigen fehlerhaften Richtlinie der EU, welche die komplementäre Zusammenarbeit zwischen Künstler:innen und ihren Vermarkter:innen missachtet hatte und diesen Fehler zwischenzeitlich zu revidieren in der Lage war.
Nach zehnjähriger Ungleichbehandlung der Besteuerung von Künstlern und Galerien kann jetzt auch durch nationalstaatliche Revision die wettbewerbsschädliche Asymmetrie beseitigt und der dringend nötige Ausgleich wieder hergestellt werden. Auch Künstler:innen leiden letztendlich unter der Verzerrung und ihren Folgen. Ihre wichtigsten Verbände, der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) sowie der Deutsche Künstlerbund und der Deutsche Kulturrat[5] stehen solidarisch an der Seite des BVDG.
Die Ermäßigung wird auch dazu beitragen, dass eine Aussage im Koalitionsvertrag der Ampelregierung reale Gestalt annimmt. Dort heißt es (S. 97): „Wir wollen … freie Kulturorte wie Galerien unterstützen.“
Auch alle anderen EU-Mitgliedstaaten können den ermäßigten Steuersatz im Kunsthandel wieder einführen. Frankreich hat das Fanal gesetzt, weitere Länder werden nachziehen – Deutschland sollte unter den Ersten sein. Dies wäre das primäre Instrument zur Stärkung des deutschen und europäischen Kunstmarkts im Wettbewerb gegenüber den internationalen Auktionshäusern sowie gegenüber Drittstaaten. China, Groß Britannien und die USA führen das globale Markgeschehen nach wie vor an: mit 17%, 18% und 45% Umsatzanteil am Weltmarkt. Deutschland hingegen liegt mit 2% weit hinter Frankreich (7%)[6].
Anmerkungen
[1] Laut eines Berichtes der Bundesregierung über Gründungsaktivitäten ist der Kunstmarkt in der gesamten Kultur- und Kreativwirtschaft mit lediglich 1,5 Prozent vertreten. Siehe: https://www.bvdg.de/texte_Gruendungsgeschehen_Kunstmarkt_2021
[2] Presseberichte und „Studien“ über Umsätze im Kunstmarkt erzeugen falsche Vorstellungen, weil sie sich primär auf überwiegend im Ausland ansässige Auktionshäuser beziehen. Der jährliche Bericht des Bundeswirtschaftsministeriums über die Kulturwirtschaft bietet hingegen einen „belastbaren“ Eindruck über die wirtschaftliche Realität des deutschen Kunstmarktes. Siehe: https://www.bvdg.de/aktuell_BVDG_Monitoringbericht_2022
[3] Richtlinie (EU) 2022/542 DES RATES vom 5. April 2022 zur Änderung der Richtlinien 2006/112/EG und (EU) 2020/285 in Bezug auf die Mehrwertsteuersätze: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32022L0542
[4] Siehe Website der BKM: https://www.kulturstaatsministerin.de/DE/kunst-und-kulturfoerderung/rechtliche-rahmenbedingungen/umsatzsteuer/umsatzsteuer_node.html
[5] Die Dachorganisation der deutschen Kulturverbände, der Deutsche Kulturrat, fordert in ihrem steuerpolitischen Positionspapier vom 21. März 2024 „den nunmehr europarechtskonformen ermäßigten Umsatzsteuersatz für Kunstverkäufe durch Galerien und den Kunsthandel umzusetzen. … Diese gesetzgeberische Maßnahme folgt konsequent aus dem vorherigen Handeln auf europäischer Ebene. Sie stellt die Gleichbehandlung von Künstlerinnen bzw. Künstlern und Galerien wieder her und schafft für den deutschen Kunstmarkt entsprechende Voraussetzungen, um im europäischen Wettbewerb zu bestehen“. Vgl.: https://www.kulturrat.de/positionen/jahressteuergesetz-2024-mit-steuerpo...
[6] Laut aktuellem „Art Basel & UBS Report – The Art Market 2023“