03.09.2015 | Alles nur noch digital? | Samstag, 19. Septmber | EIGEN + ART Lab
Zu Berlins Ruf als Stadt der Künstler und Kreativen gesellt sich dank der blühenden Start-up Szene nun der Vergleich mit dem amerikanischen Silicon Valley. Online-Galerien, Post-Internet-Art und Instagram lassen eine Kunstwelt ohne Bits und Bytes heute kaum noch vorstellbar erscheinen. Grund genug für den Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler (BVDG), EIGEN+ART und die Independent Collectors zu fragen, „Alles nur noch digital?“- und am 19. September Start-ups, Künstler und Kuratoren unter diesem Motto ins Eigen+Art Lab einzuladen.
- Reflex -
Zum Warm-up präsentierten fünf Berliner Start-ups ihre digitalen Geschäftsmodelle für den Kunstmarkt: Timo Niemeyer sprach über die Möglichkeit, Online-Auktionen über Artusiast zu vermarkten und zu realisieren. Sabine Grosswendt stellte das Geschäftsmodell von artflash vor, bei dem Editionen von jungen und etablierten Künstlern in Flash Sales verkauft werden. Die Galerie Management Software Artbutler wurde von Dirk Herzer als probates Mittel gegen das Kopfzerbrechen im Geschäftsalltag von Galerien vorgestellt. Euphemia von Kaler zu Lanzenheim sprach über ihre Online-Galerie curart als Sprungbrett insbesondere für junge Künstler, die noch keine Galerie gefunden haben. Nach einer fairen Lösung für die rechtlichen Fragen rund um die Nutzung von Inhalten im Netz befasst sich ascribe, deren Lizenzierungsmodell Masha McConaghy beschrieb.
Das anschließende, von Thea Dymke (BVDG) moderierte, Gespräch mit Alexandra Waligorski (Node Forum for digital Arts), Karoline Pfeiffer (Independent Collectors) und Carmen Weisskopf (!Mediengruppe Bitnik) widmete sich dem Schaffen, Ausstellen und Sammeln von Kunst im digitalen Zeitalter.
Die !Mediengruppe Bitnik nutzt in ihren „Live Mail Art pieces“ das Internet als Werkzeug und Untersuchungsgegenstand gleichermaßen. Mit „Delivery to Mr. Assange“ sendete das Künstlerduo 2013 ein mit einer Mini-Kamera versehenes Paket an den im Exil lebenden Julian Assange. Die fortwährend ins Internet übermittelten Bilder zeichneten den Weg des Pakets nach und gaben Followern so die Gelegenheit, die Aktion in Echtzeit nachzuvollziehen. Als einzige Möglichkeit mit dem Wikileaks-(Mit)Gründer Assange in Kontakt zu treten, adressiert „Delivery to Mr. Assange“ zunächst die gesellschaftliche Verantwortung für Informationsfreiheit gegenüber dem steten Streben von Wirtschaft und Politik, Informationsflüsse im Netz zu kontrollieren. Gleichzeitig führt die Arbeit den Unterschied zwischen dem überwachbaren Schriftverkehr via E-Mail und dem durch das Briefgeheimnis geschützten Postverkehr vor Augen.
Für Ausstellungen überführen Bitnik Artefakte ihrer performativen Arbeiten in den Realraum, dokumentieren entscheidende Momente auf Screens oder re-inszenieren ganze Settings – für „Delivery to Mr. Assange“ bauten die Künstler kurzerhand jenes Zimmer nach, in dem Assange das Paket in Empfang nahm und per Videobotschaft in die Kamera antwortete.
Im Gespräch mit der Medienkunstforscherin und Kuratorin Alexandra Waligorski (NODE – Forum for Digital Arts) wurde klar, dass die kreative Verwendung von Programmiersprache längst Eingang in die Kunst gefunden hat, es für deren Vermittlung aber technologieübergreifender Themen bedarf. Eine Ausstellung, die etablierte Positionen und „Kreative Coder“ zusammenbringt, müsse den Fokus vor allem auf die gemeinsamen Fragestellungen legen, um Technologie nicht als bloße Effektinstrumente zu begreifen und auch technikfernem Publikum einen Zugang zu ermöglichen.
Auch Karoline Pfeiffer (Independent Collectors) sprach über die Notwendigkeit, Inhalte in ihren Kontext einzubetten. Seit dem Relaunch ihrer Website begleitet Independent Collectors die von Kunstsammlern präsentierten, virtuellen Ausstellungen zusätzlich durch redaktionelle Beiträge. Dies mache die Plattform sowohl für Kunstsammler als auch für andere Seitenbesucher attraktiver. Mit neuen Funktionen reagiert Independent Collectors zudem auf das Bedürfnis der Kunstsammler, sich untereinander stärker auszutauschen. Denn viele Sammler lernten sich zwar über die Website kennen, führten ihren Kontakt aber selbstverständlich in persönlichen Begegnungen auf Messen und Ausstellungen weiter.
Ohnehin sind sich alle Gesprächsteilnehmer einig, dass die strikte Trennung von Online und Offline, digital und analog längst obsolet geworden ist. Was Kritiker mit dem Begriff der Post-Internet-Art zu fassen versuchen, ist folglich weniger in ästhetischen Gemeinsamkeiten von Kunstwerken zu finden, als in einer Haltung, die Künstler, Kuratoren und Sammler miteinander teilen. Der chinesische Kurator und Kritiker Carson Chan bezeichnete diese Einstellung treffend als „Internet State of Mind“: eine vom Internet geprägte Denkweise, die ein Kunstobjekt – von der Idee über die Herstellung bis hin zu seiner Verbreitung und Betrachtung – im Bewusstsein der es umgebenden Netzwerke begreift. Vor diesem Hintergrund scheint es nur konsequent, wenn Kunst im digitalen Zeitalter die Grenzen zwischen Werbung und Design, Unikat und Massenware, Online und Offline leichtfüßig überwindet und ihre Spannungsfelder auslotet.