20.09.2024 | Wie ich wurde, was ich bin | Kristian Jarmuschek

Im Gespräch mit Simone Sondermann vom Briefing-Newsletter WELTKUNST INSIDER gibt BVDG-Vorsitzender Kristian Jarmuschek Einblicke in die bewegte Geschichte seiner Laufbahn als Galerist – und zeigt: Nicht alles ist planbar, Fehler sind erlaubt und mit Begeisterung und Engagement ist vieles erreichbar. Lesen Sie hier das ganze Interview, das wir mit Erlaubnis des WELTKUNST Verlags hier abdrucken dürfen.

aus: WELTKUNST INSIDER. Das Briefing für die Kunstbranche, 17. September 2024


WIE ICH WURDE, WAS ICH BIN
Kristian Jarmuschek im Gespräch mit Simone Sondermann

Kristian Jarmuschek ist Galerist und leitet die Kunstmessen Positions Berlin und Art Karlsruhe. Als Vorsitzender des BVDG vertritt er die Interessen des Kunsthandels. Er ist im Beirat von WELTKUNST INSIDER Kristian Jarmuschek, geboren 1972, und gründete 2000 nach seinem Magisterstudium in Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität Berlin den Projektraum Sophienstraße und 2004 die Galerie Jarmuschek+Partner, die sich auf zeitgenössische Kunst im Bereich Malerei, Installation und Fotografie spezialisiert hat.

2005 initiierte Jarmuschek die Preview Berlin– The Emerging Art Fair und etablierte sich als wichtiger Förderer aufstrebender Künstler. 2008 gründete er die „Halle am Wasser“ in Berlin, gefolgt von der Mitbegründung der Berlin Art Week im Jahr 2012. Seit 2013 ist er Vorsitzender des Bundesverbands Deutscher Galerien und Kunsthändler (BVDG).

2014 brachte Jarmuschek die Kunstmesse Positions Berlin und die paper positions ins Leben, deren Messegesellschaft er als Inhaben und Geschäftsführer vorsteht. Seit 2023 leitete er gemeinsam mit Olga Blaß zudem die Messe art KARLSRUHE.

 

Herr Jarmuschek, was war Ihr erster Berufswunsch als Kind?

Dompteur im Zirkus. Die Nummer mit den Pferden hat mir als Kind wahnsinnig gut gefallen.

Haben Ihre Eltern immer an Sie geglaubt?

Ja, haben sie. Ich hatte vor der Wende einen Studienplatz für Medizin. Der ist nach der Wende wieder aberkannt worden, und ich hätte mich neu bewerben müssen. Da bin ich stattdessen meiner anderen Leidenschaft, der Kunstgeschichte, nachgegangen. Das war ein Moment, in dem meine Eltern sagten: na gut, wenn du meinst …. Und die klassische Frage bei Geisteswissenschaften – wie willst du davon leben? – habe ich mir natürlich auch mal anhören müssen.

Hat Kunst in Ihrer Familie eine Rolle gespielt?

Mehr bei Freunden meiner Eltern, die viel im Kunstbereich unterwegs waren. Das hat mich immer fasziniert, und ich dachte, deren Leben würde ich gern haben. Dort habe ich in den 1980er-Jahren ein Foto gesehen, das mich sehr beeindruckt hat, eine Aufnahme aus Nordkorea. Sieghard Liebe, der Fotograf, hat mir das Bild später geschenkt, es hängt in meiner Wohnung.

Was haben Sie in Ihrem Studium für Ihr späteres Leben gelernt?

Während des Studiums habe ich mich für mittelalterliche Plastik und Barockmalerei interessiert und ein Volontariat im Bodemuseum gemacht. Ich habe damals nie gedacht, dass ich mal Galerist werde. Aber ich habe gelernt, das, was ich sehe, mit Worten zu beschreiben. Das ist heute ein großer Vorteil. Die wichtigste Erfahrung aber war das Kinder- und Jugendtheater in Erfurt. Das hat mir am meisten den Weg geebnet: mich vor Leuten hinzustellen und über Dinge zu reden und mit Menschen, die man nicht kennt, zu kommunizieren. Dadurch habe ich keine Berührungsängste und weiß, wie wichtig Kommunikation ist.

Hatten Sie Förderer?

Ich habe ja in Berlin studiert, da hatte man diese schöne Situation, dass man an allen drei Universitäten Kunstgeschichte studieren kann. Ich war sehr begeistert von Horst Bredekamp, aber auch von anderen Professoren, mit denen ich Exkursionen gemacht habe. Von denen habe ich viel Unterstützung erfahren. Generell bin ich aber eher ein Typ, bei dem man immer denkt, der kann das schon. So habe ich alle Fehler machen dürfen, die man eben machen kann. Mein größter Förderer war das Berlin der Neunziger- und Nullerjahre. In der Stadt zu leben, in der der kommerzielle Druck nicht so groß war, in der es die Möglichkeit gab, Projekte anzufangen und Dinge zu machen, ohne gleich einen Businessplan zu haben.

Wie lief Ihr erstes Bewerbungsgespräch?

Ich habe mich ehrlich gesagt erst im vorletzten Jahr zum ersten Mal richtig beworben, als es um die Stelle des künstlerischen Leiters der Art Karlsruhe ging. Man hatte mich gebeten, mich zu bewerben.

Haben Sie einen Tipp für Bewerbungsgespräche?

Es geht mir immer um das Menschliche. Habe ich am Ende des Gespräches Lust, diesen Menschen kennenzulernen, finde ich interessant, wie er die Welt sieht, finde ich das spannend, womit er sich beschäftigt? Das ist das Entscheidende. Alle anderen Dinge, wie man E-Mails schreibt, wie man telefoniert, wie man recherchiert, wie man Galerien auswählt, das kann man ja alles lernen.

Was haben Sie in Ihrem ersten Job verdient?

Ich hatte eine sehr schöne Stelle als studentische Hilfskraft in der Institutsbibliothek der Kunstgeschichte. Das waren 700 Mark damals, glaube ich.

Auf welche berufliche Entscheidung sind Sie stolz?

Dass ich 2013 der Idee gefolgt bin, in den Vorstand des BVDG zu gehen. Das war noch mal eine ganz neue Dimension im Zusammenspiel von Galerie und Messe. Und ein Projekt, auf das ich wahnsinnig stolz bin, ist die Halle am Wasser, die 2008 hinter dem Hamburger Bahnhof eröffnet wurde. Das war meine Idee, mit anderen zusammen, und ich finde toll, dass das geklappt, auch wenn es nur fünf Jahre gutging. Und generell auf den Mut, Dinge auszuprobieren, festzustellen, das macht Spaß, das machen wir jetzt weiter.

Und welche bereuen Sie?

Das Einzige, was ich anders machen würde: Ich hätte, als wir im Jahr 2000 mit dem Projektraum angefangen haben, vor der Gründung der Galerie, vielleicht doch mal ein Praktikum in einer Galerie machen sollen und nicht alles erst durch das Tun lernen sollen. Für die Künstlerinnen und Künstler, mit denen ich zusammengearbeitet habe, hätte ich gern schon damals ein Stück der Professionalität gehabt, die ich heute habe.

Wann hatten Sie Glück?

Ganz oft. Ich habe zum Beispiel mal eine Führung im Hamburger Bahnhof gemacht. Da waren auch die Eigentümer der Immobiliengesellschaft dabei, der der Hamburger Bahnhof und die Halle am Wasser gehörte. Die haben mich gefragt: Was würden Sie gern machen in Zukunft? Ich sagte: Da gibt es doch diese Halle, es wäre toll, wenn es darin Galerien gäbe. Sie haben gelacht und mich gefragt, ob ich wisse, wer sie sind, und ich sagte: Nee, das weiß ich nicht. So entstand das Projekt Halle am Wasser. Solche Situationen gab es ganz oft in meinem Leben.

Glauben Sie, dass Sie Ihren heutigen Job bis zu Ihrer Rente machen werden?

Auf jeden Fall. Die Komplexität, also mit dem Ehrenamt Bundesvorsitzender und den beiden Messen, die ich jetzt leite, und der Galerie, wird sich verändern. Aber etwas für die Vermittlung und Weiterentwicklung der zeitgenössischen Kunst zu tun, das werde ich wahrscheinlich so lange machen, wie ich es kann und wie das von den Akteuren auf beiden Seiten gewünscht ist.

Was mögen Sie an Ihrem Beruf und was nicht?

Die Werke von Künstlern, die man toll findet, am Markt und auch institutionell zu etablieren, das ist das Tollste, weil man allen Seiten mehr Freude schenkt. Also wenn es läuft, ist es fantastisch. Wenn es nicht läuft, ist es ganz schnell ganz schwer und auch irgendwie sehr bedrückend und beengend für einen persönlich. Denn es ja ein Angebotsmarkt, und niemand wartet auf die Kunstwerke.

Was können Sie besonders gut in Ihrem Beruf?

Kommunizieren und Menschen dazu motivieren, die Ideen, die ich entwickelt habe, mit mir gemeinsam umzusetzen. Und ich kann sehr schnell gucken. Das erstaunt manche Künstlerinnen und Künstler immer, wenn ich nach fünf Minuten im Atelier sehe, wo das Bild ist, bei dem es am meisten hakt, oder das Bild, das eine Verbesserung in der aktuellen Serie darstellt.

Welchen Rat haben Sie heute an Jüngere, die Ihren Beruf lernen wollen und am Anfang der Karriere stehen?

Macht euch mal frei! Ich habe den Eindruck, dass die vielen Möglichkeiten bei jungen Menschen dazu führen, dass sie viel Angst haben, das Falsche zu tun. Ich wünsche mir mehr Lust am Gestalten, mehr Lust, die eigenen Ideen umzusetzen. Es weniger davon abhängig zu machen, ob das wirtschaftlich und finanziell erfolgreich ist.

Warum lieben Sie Kunst?

Indem man sich mit Kunst auseinandersetzt, spürt man am deutlichsten das Menschsein, das, was wir Menschen können und warum es uns Menschen gibt. Das ist unglaublich. Es ist ja nur Farbe auf Leinwand, es sind ja nur noch Steine oder es sind nur noch Töne, es ist nur eine Bewegung. Aber dass das mit jedem einzelnen Menschen so viel machen kann, finde ich das Faszinierende an Kunst.

 

WELTKUNST INSIDER. Das Briefing für die Kunstbranche erscheint 14-tägig. Zum kostenlosen Test-Abonnement geht es hier: https://insider.weltkunst.de/

 

WELTKUNST INSIDER | Interview mit Kristian Jarmuschek