09.03.2021 | Lights on - Unlock
Lights on – Unlock!
Kristian Jarmuschek und Birgit Maria Sturm
Galerien trotzen der kulturellen Verödung in der Pandemie zusehends durch Anwendung digitaler Formate zur Präsentation ihres Programms. Und das Licht bleibt an! Denn viele Galerien ermöglichen dem Kunstfreund mit ihren großen Fensterfronten, auch im kalten Lockdown wenigstens von der Straße aus, einen Blick in ihre Ausstellungen zu werfen.
Doch die Galerienszene als Teil der Kultur- und Veranstaltungswirtschaft ist insgesamt beschädigt. Im Kunstmarkt sind primär die Auktionshäuser ohne Blessuren durch die Krise gekommen. Sie handeln mit etabliertem Kulturgut und mussten bloß intensivieren, was sie schon geraume Zeit tun: es online zu veräußern. Das ist für Galerien um Längen schwieriger, mitunter unmöglich. Ein Beuys ist bereits mit kunsthistorischer Relevanz angereichert, sein Wert steht außer Frage. Bei jungen, noch nicht bekannten Künstlern muss dieser Prozess durch das, was wir Kunstvermittlung nennen, überhaupt erst in Gang gebracht werden.
Dazu gehören Makroevents wie Kunstmessen oder Biennalen; dazu gehören Mikroevents wie Galerieausstellungen mit Vernissagen, Atelierbesuche mit Kuratoren, Meetings mit Sammlern und viele andere kommunikative Akte – also alles, was für die Erzeugung von Öffentlichkeit und zur Anbahnung von Verkäufen notwendig ist. Denn der Künstler will: von seiner Kunst leben. Der Galerist will: den Betrieb am Laufen halten. Aber seit fast einem Jahr läuft so gut wie nichts, weil alle diese Events abgesagt, verschoben oder auf ein äußerstes Minimum reduziert wurden. Die freie Berufsausübung ist den Galeristen somit quasi unmöglich geworden – auch wenn sie ihre Geschäftsräume im letzten Jahr ein paar Monate öffnen durften. An diesem Punkt werden die Defizite der November-Dezemberhilfen offenbar. Denn die Kriterien bzw. der Kreis der „indirekt“ oder nur temporär vom Lockdown betroffenen Unternehmen wurde seitens des Bundeswirtschaftsministeriums so eng definiert, dass unverschuldet in Existenznot geratene Galerien durch das Netz dieser Wirtschaftshilfe fallen.
Das Galerienförderprogramm aus dem Projekt NEUSTART der Kulturstaatsministerin ist im zweiten Jahr der Pandemie eine große Hilfe – und erstklassig organisiert von der Stiftung Kunstfonds. Zwölf Juroren, überwiegend bildende Künstler, haben knapp 400 Galerien aus 500 Bewerbungen ausgewählt. Bedeutet: Die Finanzierung mindestens einer Ausstellung ist ihnen gesichert. Das Projekt dient also den Galerien und ihren Künstlern gleichermaßen. Es wird im zweiten Halbjahr 2021 zu einer weiteren Runde kommen und das ist gut so. Die geförderten Ausstellungen werden dann hoffentlich wieder voll analog zu besichtigen sein.
Auch das NEUSTART-Investitionsförderprogramm kam grundsätzlich für Galerien in Betracht. Es bot die Finanzierung von Hard- und Software für digitale Kunstvermittlung, die in der Pandemie so notwendig geworden ist. Doch das Programm hatte eine gravierende Schwachstelle: Nur juristische Personen konnten sich darauf bewerben. Es wurde nicht bedacht, dass in der Kulturwirtschaft überwiegend Einzelkaufleute tätig sind. Bei den Galerien sind es über 75 Prozent. Bewerber wurden zuhauf abgelehnt, weil sie nicht als GmbH oder GbR firmieren. Vor allem die kleineren Galerien stehen nun im Regen und können ihren Betrieb nicht mit IT aufrüsten, weil eine völlig sinnlose Formalie das Ziel eines ansonsten hervorragenden Programms konterkariert. Hier ist eine Nachbesserung dringend nötig, denn der Ausschluss von Kulturunternehmen ohne Rechtsform ist schlicht diskriminierend.*
Galerien, die im Gegensatz zur subventionierten Filmindustrie oder dem großzügig geförderten Verlagsbuchhandel bisher in keiner Weise staatlich begünstigt wurden, werden mutmaßlich Überbrückungshilfe III beantragen. Nach massiver Kritik verbessert, ist deren primäres Kriterium nun der Faktor Umsatzverlust. Unsere Galerienstudie hatte bereits für 2020 einen Durchschnittswert von 30 Prozent ermittelt. Die Aussichten für 2021 sind noch schlechter, weil Geschäfte im Kunstmarkt häufig zeitverzögert, manchmal erst Monate – z.B. nach einer Kunstmesse – getätigt werden. Galerien sind keine Bäckereien, in denen ständig verkauft wird. Manchmal melden sich Interessenten erst Monate nach einem Erstkontakt. In der Pandemie haben viele Galerien die Intervalle ihrer Ausstellungen gestreckt – statt üblicherweise ein knappes Dutzend jährlich, gibt es neuerdings nur vier oder fünf. Die Künstler der Galerien sind hiervon ebenso betroffen wie deren Personal, das sich fast durchweg in Kurzarbeit befindet. Der von der Überbrückungshilfe III gewährte Teilzuschuss zu den Fixkosten ist angesichts dieses Dramas ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn Galerien wirtschaften über permanentes Investment, also über variable Kosten, die in Projekte gesteckt werden. Es bedarf also zusätzlich eines echten Investitionsprogramms. Ansonsten: Aus Lockdown wird Knockdown und Dauerdown bleibt.
Was ist noch zu tun? „Uns ist es ein zentrales Anliegen, gerade jetzt für bestmögliche Rahmenbedingungen in der Filmbranche zu sorgen.“ (Pressemitteilung der BKM vom 12. Februar 2021) Ab wann gilt diese Sorge auch dem Kunstmarkt? Dieser wird oft verdächtigt, bloß eine gesellschaftliche Elite zu bedienen. Das Ammenmärchen vom gierigen Kommerz und dem standhaft marktresistenten Künstler wird immer noch erzählt. Fernab von diesem Klischee genießt der Kunstmarkt in Österreich das nötige Empowerment durch die Politik. Dort wurde die Mehrwertsteuer für gewerbliche Kunstverkäufe – vorläufig bis Ende 2021 – auf sagenhafte fünf Prozent gesenkt. Deutsche Galerien sind mit 19% Besteuerung jetzt einem noch krasseren Wettbewerb innerhalb der EU ausgesetzt. Die Chance, dieses Thema in der Ratspräsidentschaft auf die Agenda zu setzen, wurde von der hiesigen Politik verspielt.
Unser Mantra – weil es für den Kunstmarkt mit Abstand am wichtigsten ist – bleibt somit: Die Wiedereinführung der ermäßigten Umsatzsteuer. Darüber hinaus sind bessere Infrastrukturen für die Revitalisierung des Kulturmarktes nötig. Eine Art Masterplan hätte zunächst einmal diverse Gesetze auf ihre Verhältnismäßig- und Sinnhaftigkeit zu überprüfen, Stichwort: Kulturgutschutz- und Geldwäschegesetz. In diesem Masterplan sollten Forderungen umgesetzt werden, die in den letzten Jahren von allen Kultursparten – auch vom Deutschen Kulturrat – erhoben wurden. Etwa die Erhöhung bzw. Flexibilisierung des Bundeszuschusses zur Künstlersozialkasse bei gleichzeitiger Deckelung der Verwerterabgabe auf maximal drei Prozent. Und außerdem: Die Einführung einer Umsatzschwelle – Vorschlag: 100.000 Euro p.a. – ab der diese Abgabe überhaupt erst erhoben wird. Dies würde insbesondere kleinere Kulturbetriebe unterstützen. Diese Idee wurde bereits im Beirat der KSK diskutiert und sie könnte dazu beitragen, dass endlich wieder Galerien gegründet werden. Seit Jahren gibt es wegen erstickender Bürokratie, hohen Abgaben und asymmetrischer Besteuerung im deutschen Kunstmarkt kaum Nachwuchs.
Die Kulturpolitik muss die Kulturökonomie endlich genauso in den Blick nehmen wie die öffentlich geförderten Institutionen – denn beide stehen in einer Wechselbeziehung. Dass die prekäre Lage Politikerherzen zum Bluten bringt, wurde oft genug beteuert. Jetzt müssen Taten folgen. Im Schulterschluss von Kultur- und Finanzressort können echte Anreize für den „Kulturkonsum“ mit dem Ziel einer nachhaltigen Wiederbelebung sämtlicher, durch Covid-19 geschädigter Bereiche geschaffen werden. Der Kauf von Kunstwerken und Büchern; Tickets für Konzerte, Museen, Kinos und Bühnen aller Art; Zahlungen für alles Gestreamte oder live Erlebte: All dies sollte steuerlich absetzbar sein – genauso selbstverständlich wie Werbungskosten, Vorsorge oder Handwerkerrechnungen. Kultur ist nämlich für ALLE da und wird von allen, jung und alt, arm und reich, konsumiert. Wo aber Konsum ist, da wächst die Produktion auch.
Deutsche Galerien und ihre Künstler sind international hoch angesehen und auf Auslandsmessen sehr präsent – ohne Außenwirtschaftsförderung zu erhalten. Das BMWi hat hier stets abgewunken, denn der Kunstmarkt passt nicht ins Raster. Hier sollten einmal die Besonderheiten der Kulturökonomie respektiert und Fördergrundsätze spezifisch ausgerichtet werden. Immerhin hat das Wirtschaftsministerium seit Corona durch regelmäßige ZOOM-Konferenzen mit Vertretern verschiedenster Sparten der Kultur- und Kreativwirtschaft sein Wissen über die Arbeitsweise und die akuten Nöte der Kulturbetriebe vertieft. Das ist gut und wichtig. Das bringt die Unternehmen jedoch keinen Schritt weiter, solange sie trotz ausgefeilter Hygienekonzepte und minimaler Ansteckungsgefahr in großen oder schwach frequentierten Räumen nicht endlich wieder öffnen dürfen.
Dass es der Staatsministerin gelungen ist, dem Finanzminister eine weitere Milliarde für die Kultur abzuringen, verdient Respekt. Die Mittel sollten durch optimierte Programme vor allem an die wirtschaftlich existentiell betroffenen Marktakteure und Soloselbständigen fließen. Neben der Fortsetzung des Ausstellungsprogramms wäre eine Langzeitförderung von Galerien durch die BKM über die Auslobung eines Preises – ähnlich dem Buchhandelspreis – sowie durch einen dauerhaft erhöhten Ankaufsetat für die Bundeskunstsammlung sinnvoll. Hier wurde in der Pandemie bereits ein positives Zeichen gesetzt und auch die Länder sollten sich daran ein Beispiel nehmen. Schließlich ist ein Kunstkauf kein Geschenk, sondern bietet einen dauerhaften Gegenwert.
Kristian Jarmuschek ist Vorsitzender und Birgit Maria Sturm ist Geschäftsführerin des Bundesverbandes Deutscher Galerien und Kunsthändler e.V.
Der Artikel erschien in stark gekürzter Fassung in der Ausgabe März 2021 von „Politik und Kultur“, der Zeitung des Deutschen Kulturrates.
*Nachtrag: Das NEUSTART-Pandemiebedingtes Investitionsförderprogramm wurde nach Intervention des BVDG und vieler Galerien korrigiert. Das Erfordernis einer Rechtsform wurde dankenswerterweise von der Beauftragten für Kultur und Medien, Staatsministerin Monika Grütters, abgeschafft und es können sich auch Einzelkaufleute bewerben.