11.02.2025 | Zoll & Steuern: Ein Votum für die Gleichstellung künstlerischer Techniken

Gegen den Regelsteuersatz für Siebdrucke setzte sich ein bekannter Berliner Galerist schon Mitte der 90er-Jahre zur Wehr – im Interesse des gesamten Kunstmarktes, auch der Künstler:innen. Die Entscheidung zu seiner Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht gilt bis heute. Ein Kommentar von Birgit Maria Sturm.

Zoll & Steuern: Ein Votum für die Gleichstellung künstlerischer Techniken

Mit der Wiedereinführung der ermäßigten Umsatzsteuer für Verkäufe im gewerblichen Kunsthandel ab 1. Januar 2025 wurde der Zustand von vor 2014 wiederhergestellt. Vielen Marktakteuren, vor allem den Jüngeren, ist allerdings nicht bewusst, dass die damals geltenden Ausnahmen von der Begünstigung auch heute wieder gelten. Denn die maßgebliche Definition des Zolltarifs, die in die „Liste der dem ermäßigten Steuersatz unterliegenden Gegenstände“ eingeflossen ist, blieb unangetastet bestehen. Danach gelten Artefakte als steuerbegünstigte Kunstgegenstände, wenn sie „vollständig mit der Hand geschaffen“ wurden.

 

Zur Liste der dem ermäßigten Steuersatz unterliegenden Gegenstände (Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nummer 1, 2 und 14) gehören unter Nummer 53 folgende Kunstgegenstände:

a) Gemälde und Zeichnungen, vollständig mit der Hand geschaffen, sowie Collagen und ähnliche dekorative Bildwerke (Position 9701),

b) Originalstiche, -schnitte und -steindrucke (Position 9702),

c) Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst, aus Stoffen aller Art (Position 9703)

(In Klammern: Nummer des Gemeinsamen Zolltarifs)
Quelle: https://www.gesetze-im-internet.de/ustg_1980/anlage_2.html

 

Herumgesprochen hat sich inzwischen zumindest die – höchst fragwürdige – Tatsache, dass Fotografien in Deutschland nach wie vor nicht steuerreduziert verkauft werden dürfen. Dies aber hat noch immer Folgen, die weit über die Fotografie hinausgehen – etwa für Druckgrafiken, deren Vorlagen mittels fotografischer Verfahren hergestellt wurden.

Dass im Folgenden der Siebdruck in den Blick gerückt wird, hat einen ganz konkreten Grund: Denn dieser Technik wurde die Anerkennung zur Steuerermäßigung Mitte der 1990er-Jahre vom obersten deutschen Gericht explizit verwehrt.

Der Zolldefinition waren und sind im Bereich der Druckgrafik nämlich nur „Originalstiche, -schnitte und -steindrucke“ geläufig – womit die behördliche Vorstellungskraft im 19. Jahrhundert steckengeblieben ist. Aber der Druckstock der modernen Serigrafie besteht eben nicht aus Holz, Metall oder Stein; die Motive werden hier auch nicht mit Handwerkszeug geschabt, geschnitten oder sonst wie aufgetragen, sondern auf einem feinmaschigen, auf einen Rahmen gespannten Gewebe belichtet.

Der Siebdruck revolutionierte die Künstlergrafik. In den USA entwickelt, fand die Technik ursprünglich im Bereich der Gebrauchsgrafik Anwendung, bevor sie in den 1950er-Jahren fulminanten Einzug in die Kunstwelt hielt. Die amerikanischen Pop-Art-Künstler, allen voran Andy Warhol, fanden im Silkscreen das optimale Medium für ihre farbsatte Bildsprache und ihre auffälligen Motive. In Deutschland zählten Max Ackermann, Willi Baumeister und Rupprecht Geiger zu den ersten Künstlern, die diese neue Technik nutzten. Von der konstruktiv-konkreten Kunst bis hin zur Figuration: Die Serigrafie war das zeitgemäße Ausdrucksmittel der Stunde.

In und um Stuttgart entstanden die ersten auf künstlerischen Siebdruck spezialisierten Werkstätten, namentlich von Luitpold Domberger, Hans-Peter Haas, Roland Geiger und Frank Kicherer. Auch Hans-Jürgen Slusallek im hessischen Friedberg (edition hoffmann) zählte zu den Pionieren. Sie alle experimentierten mit dem neuen Verfahren und arbeiteten intensiv mit deutschen und internationalen Künstlern zusammen. Der Drucker war der ziemlich beste Freund des Künstlers, wurde zu seinem Editeur und oft zu seinem Galeristen.

Diesen Weg durchlebte auch Clemens Fahnemann, der seit den 1980er-Jahren zahllose Editionen von den Berliner Neuen Wilden druckte, verlegte, ausstellte, verkaufte und Sammlungen aufbaute. Zuletzt hörte man im Jahr 2022 von ihm, als er dem Kunstmuseum Bonn 200 großformatige Siebdrucke von Helmut Middendorf und Rainer Fetting über A. R. Penck bis hin zu Imi Knoebel, Günther Förg und vielen anderen als Schenkung überließ.

Fast zur gleichen Zeit wie Rudolf Kicken im Bereich der Fotografie brachte dieser leidenschaftliche Galerist die Energie auf, sich gegen die volle Besteuerung von Siebdrucken zu wehren und zog vor das Bundesverfassungsgericht. Kicken hatte 1992 Beschwerde gegen die Regelbesteuerung der künstlerischen Fotografie eingelegt. Clemens Fahnemann, vertreten durch Peter Raue und flankiert vom BVDG, brachte sein Anliegen 1994 auf den Weg. Fahnemanns Beschwerde war ein Verfahren vor dem Finanzgericht Berlin und dem Bundesfinanzhof vorausgegangen. Auslöser war eine Betriebsprüfung seiner Galerie gewesen, die eine beträchtliche Steuernachzahlung zur Folge hatte. Wie im Fall Kicken, so wurde auch Fahnemanns Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Immerhin wurden 1995 vom Bundesverfassungsgericht einige Gründe dafür genannt. Hier eine kurze Zusammenfassung (Quelle / Zitate: Bundesverfassungsgericht Az. 1 BvR 1787/94 vom 14. September 1995):

Das Gericht erkannte durch die Regelbesteuerung von Siebdrucken keine Verletzung von Grundrechten – weder bezüglich der Gleichbehandlung, noch bezüglich der Kunstfreiheit. Der Gesetzgeber habe Kunstwerke nicht schlechthin dem niedrigeren Steuersatz unterworfen, sondern diesen im Bereich der Druckgrafik an die Technik der künstlerischen Herstellung, an die eigenhändige Bearbeitung der Druckform geknüpft. Diese sei beim Siebdruck nicht gegeben, da hier ein fotomechanisches Verfahren (Belichtung der Druckvorlage) angewendet werde. Dieses fotomechanische Verfahren habe den Charakter einer industriellen Fertigung, die der Gesetzgeber nicht steuerlich fördern wolle. Der Gesetzgeber knüpfe – auch im Sinne der Rechtssicherheit – bei der Frage nach der steuerlichen Bewertung ausschließlich an formale Gesichtspunkte an und verzichte auf eine inhaltliche Bewertung künstlerischer Produktion.

Dass damals keine inhaltliche Bewertung vorgenommen wurde, versteht sich wegen der Kunstfreiheit fast von selbst. Jedoch hat das Gericht durch seine diesbezügliche Zurückhaltung das Augenmerk über Gebühr auf die „formalen Gesichtspunkte“ gelenkt. Also auf die Art der Herstellung eines Siebdrucks via fotografischer Belichtung. Auch wenn diese Technik das Potenzial zur Massenproduktion hat („3000 Drucke je Stunde“, so das Gericht), wird es nicht in jedem Fall auch genutzt.

Beim Streitgegenstand beispielsweise handelte es sich um eine Edition in Höhe von lediglich 60 Exemplaren. Hätten die Richter einen Blick in Fahnemanns Druckwerkstatt geworfen, wäre ihnen schnell klar geworden, dass hier nicht industriell, sondern hochgradig individuell und natürlich auch manuell gearbeitet wurde.

Die Siebdruck-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ist unanfechtbar. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie viele künstlerische Produktionstechniken und Medien den Restriktionen der unseligen, völlig statischen und antiquierten Zolldefinition sonst noch unterliegen – und auf die im Verkaufsfall der ermäßigte Mehrwertsteuersatz womöglich nicht angewendet werden darf.

Eine Anpassung des Zolltarifs an das 20. und 21. Jahrhundert ist somit überfällig. Avancierte Künstler haben schon immer auf die neueren Technologien ihrer Zeit reagiert. Sie – und ihre Vermarkter – sollten steuerlich endlich genauso behandelt werden wie diejenigen, die mit den althergebrachten klassischen Medien arbeiten.

Spätestens dann, wenn die neue Regierung steht, muss die steuerliche Anerkennung der Fotografie und all ihrer Derivate ein kulturpolitisches Thema werden. Dazu braucht es engagierte Mitstreiter. Und zwar nicht nur seitens des BVDG, sondern auch seitens der Künstlerverbände und des Fotorates sowie der Institutionen und Museen, die diesen Medien kraft ihrer Sammlungen schon lange Anerkennung und Geltung als Kulturgut verschafft haben.

Dieser Beitrag von Birgit Maria Sturm erschien am 4. Februar 2025 online in WELTKUNST Insider

 

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay