10.10.2024 | Krempelt KI den Kunstmarkt um?

Die neuen Entwicklungen rund um Künstliche Intelligenz haben zu Nervosität bei Kulturschaffenden und Unternehmen der Kreativwirtschaft geführt. Scharfe Kritik bezieht sich auf das Abgreifen schöpferischen Contents durch KI und das Generieren neuer Inhalte ohne Erlaubnis und Vergütung der Urheber. Unabhängig von diesen Auseinandersetzungen hat Birgit Maria Sturm über (künftige) Anwendungen von KI speziell im Kunstmarkt nachgedacht.

Krempelt KI den Kunstmarkt um?

Aus dem Kunstmarkt, von Galerien und Kunsthändlern, kamen bisher keine Klagen, dass die Entwicklungen zur Künstlichen Intelligenz ihr Geschäftsmodell beeinträchtigt. Sie stimmen weder in das Lamento von Dystopie und kultureller Erosion ein, noch in die Hymnen auf Effizienzsteigerung und kreativen Mehrwert durch GenAI. Technikaffine Galeristen und jene, die zeitgenössische Medienkunst vertreten, beobachten natürlich genau, was sich entwickelt, ob und wie ihre Künstler mit den neuen Tools arbeiten. Für Galerien ist auch wichtig, dass die Rechte der Künstler gewahrt werden und so hat sich der BVDG u.a. in der Studie der Stiftung Kunstfonds „KI und bildende Kunst“ positiv zu den Aktivitäten der Initiative Urheberrecht geäußert.

In der Flut an Artikeln, Sendungen und Debatten über den Impact der KI auf Kultur, Medien und Wirtschaft, auf Gesellschaft und Wissenschaft, findet sich nur wenig über den Kunstmarkt. Im Folgenden werden einige Schlaglichter auf die Arbeitsweise der Galerien (Primärmarkt) und der Auktionshäuser bzw. des Kunsthandels (Sekundärmarkt) geworfen und Ansätze aufgezeigt, wo KI-Anwendungen hilfreich sein können.

Die Redaktion der PUK wollte für diesen Beitrag vorab die Frage behandelt wissen, ob Galerien von Urheberrechtsfragen rund um KI betroffen sind. Klare Antwort: Nein. Galerien haben keine Rechte an den Werken jener Künstler, die sie (mitunter über Jahrzehnte) vertreten und deren Karrieren sie befördern. Sie haben auch keine Leistungsschutzrechte an den Ausstellungen und Projekten, die sie organisieren, wie etwa ein Produzent an seinem Film. Galerien arbeiten bzw. handeln mit künstlerischen Unikaten, die keine Verwertung in anderen Medien vorsehen. Verlage beispielsweise profitieren gemeinsam mit ihren Autoren vom Verkauf der Rechte eines Bestsellers für eine Verfilmung. Galerien hingegen verkaufen keine Lizenzen.

Weil es die aus der Rechteverwertung stammenden Einnahmequellen im Vergleich zu anderen Sparten der Kulturwirtschaft – die nun durch KI-Anwendungen ins Wanken geraten – im Kunstmarkt nicht gibt, sind Galerien von der neuen Technologie eher nicht bedroht. Reproduktionsrechte oder die beim Wiederverkauf von Kunstwerken anfallenden sog. Folgerechte fließen stets an die Urheber und deren Erben. Galerien (und Kunsthändler) profitieren nicht vom Urheberrecht, sie zahlen dafür.

Wird der Künstler berühmt, wechselt er nicht selten zu einer größeren, international aufgestellten Galerie. Landen seine Werke auf dem Sekundärmarkt, profitieren zumeist die Auktionshäuser von der ursprünglich durch Galerien mitbewirkten Generierung der Wertschätzung, die sich in hohen Preisen manifestiert – bei denen eine Galerie kaum mehr mithalten kann. Ihre Teilhabe an der „Wertschöpfungskette“ ist mithin limitiert.

Mit Dall-E, Midjourney u.a. ist KI massiv in den angewandten Bildbereich eingedrungen und transformiert die Arbeit von Agenturen, Illustratoren und Medien. Der Kunstmarkt hat es jedoch nicht mit visueller Kommunikation zu tun, sondern mit freien Werkschöpfungen. Niemand sagt Künstlern, was sie wie zu tun haben. Die bildende Kunst hat bisher alle technologischen Zeitenwenden überlebt. Künstler haben darin zu neuen Ausdrucksformen gefunden oder die klassischen Medien weiterentwickelt. Die einen werden KI für ihre Arbeit nutzen, die anderen die Finger davonlassen. Künstlerische Ideen und Intentionen nehmen immer durch Techniken, die ihrerseits ideen- und intentionslos sind, Gestalt an. Ein Technologie-Hype kann in der Kunstwelt auch schnell wieder verpuffen, wie NFT gezeigt hat.

Möglicherweise wird es einen populären Markt für KI-genierte Kunstwerke geben. Hyperstilisierte Fantasyfiguren, romantisches Allerlei, ein bisschen Pathos, mal neogothic, mal surreal umflort: Derlei findet sich in einer Galerie mit dem sprechenden Namen „Dead End“, die mitsamt den Werken auch die „Künstler“ mittels KI generiert. Ihnen wird Anerkennung im etablierten Kunstmarkt versperrt bleiben, erst recht in den Museen. Ein Signum der Moderne war, nicht „gefallen“ zu wollen. Bis heute gelten gerade jene Kunstwerke als besonders avanciert, die sich nicht auf den ersten Blick erschließen. Die Geltung von Kunstwerken wird auch in Zukunft elementar an die Formensprache, die Themen und Narrative rund um eine „Urheberpersönlichkeit“ gebunden bleiben.

Nach einer aktuellen IFO-Studie nutzen bisher nur 27% aller Unternehmen KI – Tendenz steigend. Auch Kunstmarkakteure werden künftig effiziente Anwendungen für zeitraubende Routinen wie Buchhaltung, Verwaltung und Datenbankpflege nutzen. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass Anbieter spezifischer Galerien-Software ihre Kunstmanagementsysteme mit KI-Funktionen anreichern. Etwa für die Organisation von Ausstellungen, die zu den zentralen Aktivitäten einer Galerie zählen. Die in der Pandemie ausgiebig erprobten, virtuellen 3D-Viewing Rooms mit eingescannten realen Räumen wurden weiterentwickelt; Raumformate können konstruiert und auch per Smartphone mit Abbildungen von Kunstobjekten bestückt werden. Das ist nicht nur für die Planung von Messeständen sinnvoll, sondern auch zur Veranschaulichung der Wirkung eines Kunstwerkes im privaten Umfeld.

Nur die Big Player können sich Registrare leisten, die für den Workflow rund um Logistik und Versicherung, für den Lager- und Kommissionsbestand zuständig sind. Das gesamte praktische Art Handling nimmt im Kunstmarkt viel Zeit in Anspruch, ebenso wie Dokumentation und Archivierung. Hinzu kommen gesetzliche Aufzeichnungspflichten, die eine überbordende Bürokratie auch dem Kunstmarkt abverlangt. Vielleicht sind KI-Anwendungen als nützlicher Assistenten in all diesen Bereichen, vielleicht mit Schnittstellen zu smarten Künstlerateliers nicht nur Zukunftsmusik?

Jede Galerie schafft sich mit einer begrenzten Anzahl an Künstlern ihr Segment im Kunstmarkt. Künstler hierin zu platzieren und zu halten ist ein Prozess, in dem viele Kräfte ineinander spielen. Eine KI, die aufblinkt, wenn ein wichtiger Kunstsammler oder Kurator unerkannt auftaucht, wäre ganz nett. Aber entscheidend ist, wie es dann weitergeht – und da ist der Galerist mit seinen individuellen Qualitäten als Kommunikator und Vermittler gefordert.

Ein bisher in der Debatte kaum berücksichtigter Aspekt betrifft die möglichen Einnahmeverluste der Künstlersozialkasse. Studien prognostizieren über ein Viertel an Auftragsrückgängen in der Kulturwirtschaft; die älteste deutsche Bilderdatenbank, Photocase, wird Ende des Jahres wegen der KI-Bilderflut schließen. Wenn Unternehmen ihre externe Kommunikation inhouse mit KI erledigen und Aufträge an Mediengestalter minimieren, wenn qualifizierte Übersetzer durch Babelfish ausgebootet und Schauspieler durch ihre KI-Double in der Filmproduktion ersetzt werden – dann brechen nicht nur die Honorare der Kulturschaffenden ein, sondern auch die an ebendiesen Entgelten bemessenen Künstlersozialabgaben der Vermarkter.

Die klassischen Kulturbetriebe, die weiterhin mit realen Urhebern, Darbietern und Werkschöpfungen arbeiten und diese angemessen vergüten (– Galerien beteiligen Künstler an Verkäufen traditionell mit 50% –) sind mithin der Gefahr eines weiteren Anstiegs der Künstlersozialabgabe ausgesetzt, die mit dem KSAStabG von 2014 eigentlich verhindert werden sollte.

Innerhalb der Künstlersozialkasse wird seit geraumer Zeit über die Möglichkeit diskutiert, Social Media- und Plattformbetreiber zur Künstlersozialabgabe zu verpflichten. Diese sind für die Künstlersozialkasse jedoch nicht greifbar, weil sie ihren Sitz im Ausland haben. Dazu gesellt sich nun der Impact einer um sich greifenden KI auf den Kultur- und Medienbetrieb – mit durchaus erheblichen Folgen auch auf ein System wie die Künstlersozialkasse. Einnahmedefizite der KSK bei gleichbleibenden Kosten dürfen jedenfalls nicht auf die klassischen, urheber- und künstleraffinen Kulturunternehmen wie Galerien abgewälzt werden. Hier ist also politisches Handeln mit dem Ziel einer Novelle des völlig veralteten Künstlersozialversicherungsgesetzes gefordert.

In seinem Handbuch „Die Kunst und ihr Markt“ gewährt Dirk Boll interessante Einblicke in die Marketingstrategien internationaler Auktionshäuser. Hier kommen Client Management-Systeme zum Einsatz, die noch während des Verweilens eines Website-Besuchers dessen individuelles Profil erstellen und die Website gezielt seinen Interessen anpassen. Sodann werden – mit KI versteht sich – personalisierte Mailings mit Angeboten erstellt: zu Pop Art und Alten Meistern, für asiatische Keramik und Bibliophiles, zu Vintage-Handtaschen und Schmuck.

Von derlei interaktiven Websites sind die kleinen und mittelständischen Galerien weit entfernt. Selbst die großen Galerien verfügen im Vergleich zu Auktionshäusern nur über einen Bruchteil an Daten zu Kunden und Kunstwerken, denn sie arbeiten in der Regel programmatisch mit ausgewählten Künstlern und nicht mit einem „Sortiment“ an Kultur- und Luxusgütern aller Art. Auch lag das durch KI aufgeploppte Marketing-Zauberwort der „Personalisierung“ schon immer in der DNA der Galerien, sowohl hinsichtlich der Kooperation mit Künstlern als auch in Bezug auf die Kontakte zu Sammlern. Überhaupt ist das Beziehungsgefüge, das gesamte, für den Erfolg einer Galerie entscheidende Netzwerk nie abstrakt: Jede Interaktion ist wesentlich an die Persönlichkeit ihres Inhabers gebunden.

Schon bei der Digitalisierung hatten die Auktionshäuser (mit Online-Auktionen) die Nase vorn. Heute arbeiten sie bereits intensiv mit Bilderkennungstools und KI-generierten Texten, um Objektbeschreibungen für Kataloge zu erstellen. Ein wichtiges Arbeitsmittel des klassischen Kunstmarktes sind Werkverzeichnisse, die jedoch oft nicht online verfügbar oder längst vergriffen sind. Während über bekannte Künstler jede Menge Informationen im Netz stehen und über Prompts geliefert werden können, schaut der User bei weniger bekannten Künstlern in die Sprachröhre. Ein Kunstwerk zu beschreiben, historisch einzuordnen, zu interpretieren und zu bewerten, ist ohnehin eine Kunst für sich. Texte müssen gut zu lesen, technische Angaben korrekt sein. KI-generierte Texte mögen als erstes Gerüst hilfreich sein, erfordern aber bis auf Weiteres nachträgliche Überarbeitung, analoge Recherche und jede Menge Expertise.

Wenn ein Angebot erstellt, eine Pressemitteilung geschrieben, ein Künstlerdossier verschickt werden muss, nutzen auch Galerien, vor allem die jüngeren, die bereits existierenden Tools. Über einen jungen Künstler, eben in einer Akademie entdeckt und ein unbeschriebenes Blatt, wird der Webcrawler außer ein paar biografischen Daten nichts finden. Dasselbe gilt für ältere Künstler, die im Markt bzw. in der Öffentlichkeit kaum oder nicht präsent sind.

Ein Beispiel: Anfang des Jahres brachte unser Verband eine Publikation über zwanzig Künstler heraus, die trotz Eigensinn und hoher Qualität nicht im Kunstmarkt Fuß fassen konnten. Unser von der BKM gefördertes Projekt re:discover ermöglichte diesen Künstlern einen Messeauftritt an der Seite ihrer Galerien, die ihnen auch ohne kommerzielle Erfolge die Stange hielten. Reviews oder öffentliche Resonanz gab es nur spärlich und kaum etwas im Netz. Ein erfahrener Journalist wurde engagiert, anhand von Abbildungen und entlegenem Textmaterial über jeden Künstler einen Beitrag zu schreiben. Mit Perplexity oder ChatGPT wäre das kaum möglich gewesen und so blieb der Leser von der anämischen Blässe KI-generierter Texte verschont.

Für die Provenienzrecherche, die vor dem Horizont der NS-Raubkunst für Museen ebenso wie für den Kunsthandel ein Thema ist, könnte KI eine Hilfe sein. Seit 2019 entwickelt die Universität Innsbruck mit „Transkribus“ ein Tool zur Transkription alter Handschriften. Eine ähnliche Bearbeitung der Korrespondenz, von Karteikarten oder Inventarlisten historischer Kunsthandlungen zum Zweck der Identifikation ehemaliger jüdischer Eigentümer von Kunstwerken, wäre für die Provenienzforschung ein Segen. Für diese spielen auch sogenannte „annotierte Kataloge“ eine große Rolle: In diese, seine Handexemplare, trug der Auktionator während einer Versteigerung die erzielten Preise und die Namen der Käufer von Kunstwerken ein. Derlei Kataloge tauchen immer wieder einmal antiquarisch oder in Nachlässen auf.

Erst kürzlich wurden der Heidelberger Universitätsbibliothek einige Hundert annotierte Kataloge eines längst vergessenen Frankfurter Auktionshauses – es existierte von 1870 bis Ende der 1920er-Jahre – zur Digitalisierung übergeben. Seit fast 15 Jahren werden dort mit dem DFG-geförderten Projekt „German Sales“ historische Publikationen aus dem deutschen Kunsthandel aufbereitet. Wenn es gelänge, mittels KI jene Notate zu systematisieren und mit anderen Datenquellen zu verknüpfen, ließen sich die Voreigentümer und Wanderwege von Kunstwerken – trotz aller dann immer noch bestehender Lücken ¬– mit gewisser Treffsicherheit rückverfolgen. Die technischen Angaben, die sich in einem Katalog zu einem veräußerten Kulturgut finden (Urheber, Titel, Material, Datierung, Format etc.), müssten sich diesem allerdings auch wirklich zuordnen lassen. Denn nicht jeder historische Auktions- oder Ausstellungskatalog war bebildert. Dem Vernehmen nach befasst sich das Heidelberger German Sales-Projekt mit der Entwicklung einer solchen KI mit entsprechenden Funktionalitäten.

Bleibt zu hoffen, dass der klassische Kunsthandel den effektiven Einsatz solcher Tools noch erlebt. Denn er hat in den letzten Jahren durch gesetzliche Überregulierung einen heftigen Exitus erlitten und fast alle Messen für historische Kunst und Antiquitäten in Deutschland haben aufgegeben.

Birgit Maria Sturm
September 2024


Dieser Beitrag erschien gekürzt in der Zeitung für Politik und Kultur, S. 4 (Printausgabe)
Online: https://politikkultur.de/inland/krempelt-ki-den-kunstmarkt-um/
Hrsg. Deutscher Kulturrat, im Oktober 2024

 

 

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