01.12.2025 | LAUDATIO | ART COLOGNE-Preis 2025 an Dr. Andrée Sfeir-Semler
LAUDATIO AUF DR. ANDRÉE SFEIR-SEMLER
anlässlich der Verleihung des ART COLOGNE-Preises für Kunstvermittlung
am 6. November 2025 im Historischen Rathaus zu Köln
von Mirjam Varadinis
Guten Morgen sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Andrée!
Es ist mir eine große Ehre, heute Morgen vor Ihnen zu stehen und die Laudatio für Frau Dr. Andrée Sfeir-Semler halten zu dürfen, der diesjährigen Art Cologne-Preisträgerin für Kunstvermittlung. Ich kenne Andrée schon seit vielen Jahren. Sie und ihr Galerienprogramm haben mich über weite Strecken meines professionellen Lebens als Kuratorin begleitet, und ihr Engagement für die Kunst, die Künstlerinnen und Künstler sowie ihr sicheres Auge für Qualität haben mich von Anfang sehr beeindruckt. Es freut mich daher sehr, dass sie nun mit diesem wichtigen Preis ausgezeichnet wird, und ich bedanke mich für die Einladung und das Vertrauen, hier ihren Werdegang kurz zu skizzieren und ihre eindrücklichen Verdienste zu würdigen.
Die Geschichte der Galerie Sfeir-Semler begann vor 40 Jahren – was für eine Zahl! – in Kiel, also im hohen Norden Deutschlands. Das würde man mit Blick auf die Herkunft der Preisträgerin und ihr Temperament eigentlich nicht vermuten. Doch es war die Liebe, die sie nach Deutschland brachte – und ein DAAD-Stipendium, das ihr wenige Monate nach Ausbruch des Bürgerkriegs in ihrem Heimatland Libanon zugesprochen wurde. Andrée Sfeir-Semler studierte damals Fine Arts an der Amerikanischen Universität und am National TV and Film Center in Beirut und wollte Filmemacherin werden. Das DAAD-Stipendium brachte sie nach München, doch aufgrund inkompatibler Studiensysteme wechselte sie in der Folge die Uni und das Studienfach und studierte fortan Kunstgeschichte in Bielefeld. Dort kam es zu einem legendären Treffen mit Pierre Bourdieu, der ihre Studien massgeblich geprägt hat, und wovon ich kurz erzählen möchte: Der Star-Soziologe hielt im Zentrum für Interdisziplinäre Forschung an der Universität Bielefeld, dem damaligen Mekka der deutschen Sozialwissen¬schaften, einen Vortrag auf Französisch. Die Rede wurde simultan übersetzt, doch leider war die Übersetzung voller Fehler. Andrée, die in der ersten Reihe saß, nervte das so sehr, dass sie den Übersetzer immer wieder korrigierte und schließlich kurzerhand die Übersetzung selber übernahm. Das ist ganz Andrée. Schon damals schlug ihr Herz für den Inhalt, und da kennt sie kein Pardon. Das ist auch heute noch so, und es ist genau diese Verbindung von Leidenschaft und Intellekt, die Andrée Sfeir-Semler auszeichnet und die auch das Fundament ist, auf dem der Erfolg ihrer Galerie beruht.
Pierre Bourdieu war beeindruckt von dieser jungen Frau und lud An¬drée daraufhin nach Paris ein, wo sie an den Sitzungen seines damaligen For¬schungsprojektes zur französischen Bourgeoisie teilnahm und sie zu einer seiner drei Assistentinnen avancierte. Aus dieser Zusammenarbeit entstand dann das Thema für Andrées Dissertation, die sie zu den Salon-Malern des 19. Jahrhunderts in Paris schrieb – nicht aus klassisch kunsthistorischer Sicht, sondern aus einem sozialhistorischen Blickwinkel. Das Bewusstsein für politische Zusammenhänge prägte Andrée Sfeir-Semler schon früh. Schon als 13-Jährige hat sie in ihrer Schule in Beirut Treffen organisiert, bei denen sie sich für die Menschenrechte einsetzte. Sie wurde denn auch immer wieder als «Enfant terrible» bezeichnet. Diese Kraft, sich kompromisslos für eine Sache einzusetzen, charakterisiert das Leben und die ganze Laufbahn von Andrée Sfeir-Semler und zeichnet auch ihre Tätigkeit als Galeristin aus. Wenn sie von der Qualität eines Künstlers oder einer Künstlerin überzeugt ist, setzt sie sich mit ihrer ganzen Energie für ihn bzw. sie ein. Gekoppelt mit Durchhaltevermögen und viel Herzblut, macht dies das Erfolgsrezept ihrer Tätigkeit aus.
Doch nochmals zurück zu den Anfängen: 1985 schloss Andrée ihre Dissertation nach 7-jähriger Recherche ab. Danach deuteten die Zeichen eigentlich alle in Richtung akademischer Laufbahn. Doch nach jahrelangen Recherchen in staubigen Archiven beschloss sie, stattdessen eine Galerie zu eröffnen. In Kiel, an der Dänischen Straße. «In the Middle of Nowhere», wie Andrée vor kurzem in einem Interview sagte. Sie übernahm die Räume von Michael Neumann, der nach Düsseldorf umzog. Die Entscheidung, in Kiel die Galerie zu eröffnen, hatte auch familiäre Gründe. Am 20. Februar 1980, also 5 Jahre zuvor, war ihre Tochter Lara zur Welt gekommen, und ihr Mann Ulli arbeitete als Journalist beim Fernsehen. Andrée wollte bei der Familie bleiben und sie beschloss, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen. «Eigentlich», so Andrée rückblickend, «hatte ich damals von Galerie keine Ahnung! Ich habe einfach angefangen!» Ihre erste Ausstellung eröffnete am 6. März 1985 und die Vernissage war ein voller Erfolg. Die Menschen seien «dicht gedrängt wie Sardinen im Treppenhaus gestanden», so Andrée. Ihr Motto war von Anfang an «Schleswig-Holsteins Künstler:innen mit der Welt zu verbinden». Zum frühen Galerienprogramm gehörten Elsbeth Arlt und auch Günter Haese, der 1964 als erster deutscher Künstler im New Yorker Museum of Modern Art ausgestellt hatte und zwei Jahre später auf der Biennale in Venedig.
Eigentlich hätte Andrée sich bereits damals gerne für die Art Cologne beworben, der wichtigsten Messe für Gegenwartskunst in Deutschland. Doch leider war das satzungsgemäß erst drei Jahre nach der Galeriegründung möglich. Wer hätte damals gedacht, dass sie heute den ART COLOGNE-Preis für Kunstvermittlung verliehen bekommt? Aber Andrée wäre nicht Andrée, wenn sie Schwierigkeiten nicht als Möglichkeit sehen würde. Daher beschloss sie, sich bei der Konkurrenz anzumelden, und zwar in Paris. Hier hatte sich seit einigen Jahren die FIAC etabliert. Deutsche Galerien waren besonders willkom¬men, so auch die Newcomerin aus Kiel. Andrée zeigte Werke des Cobra-Künstlers Lucebert und hatte damit ihren ersten großen Erfolg: Der Stand war ausverkauft. Neben dem kommerziellen Erfolg brachte ihr der Messeauftritt auch entscheidende neue Kontakte, nämlich mit dem Kunsthändler und Galeristen Rudolf Springer (1909-2009), der zu einem wichtigen Förderer der Kieler Galerie wurde. Auch Michael Werner, dessen Kölner Galerie die damaligen «Neuen Wilden» wie Markus Lüpertz, Georg Baselitz, A.R. Penck und Jörg Immendorf vertrat, unterstützte Andrée fortan mit Leihgaben für Ausstellungen. «Es waren für mich», wie Andrée Sfeir-Semler sagt, «Jahre des Suchens.» Anfangs suchte sie nach etablierten Positionen. Doch schon früh zeigte sich auch ihre Vorliebe für Konzeptkunst. 1987 entdeckte sie auf der documenta 8 Ian Hamilton Finlay und war so begeistert, dass sie ihn kurzerhand in Schottland besuchte. 1990 fand dann die erste Ausstellung von Finlay in der Kieler Galerie statt und daraus entstand eine lebenslange Zusammenarbeit. Diese langandauernden Künstler:innen-Beziehungen prägen Andrées Programm bis heute. Sie setzt sich nicht nur als Galeristin für ihre Künstlerinnen und Künstler ein, sondern bindet sich auch mit ihrem Herzen. Bis heute hängt eine wichtige Arbeit Finlays im Büro von Andrées Hamburger Galerie.
1992 kam eine weitere entscheidende Begegnung dazu und zwar mit Katharina Grosse. Andrée weilte mit ihrer Familie für das Osterfest in der Villa Romana in Florenz, und eines Morgens lag ein Zettel unter der Zimmertür, auf dem die junge Stipendiatin Katharina Grosse um einen Besuch in ihrem Atelier bat. Andrée ging hin und war so begeistert von der malerischen Qualität, dass sie die Künstlerin Anfang 1993 zu einer ersten Ausstellung in der Dänischen Straße einlud. Fast im Zweijahrestakt folgten weitere Ausstellungen, und die Künstlerin wurde zu einem Zugpferd der Galerie.
1999 bot sich schließlich die langersehnte Chance, die Galerie in eine Großstadt zu verlegen. In Hamburg bezieht Andrée Sfeir-Semler neue Räume in der Admiralitätsstraße, wo sich die Galerie heute noch befindet. Mit den Direktoren der beiden großen Museen, Uwe Schneede in der Hambur¬ger Kunsthalle und Felix Zdenek in den Deichtorhallen, war Andrée bereits bestens bekannt. Hier zeigt sich übrigens eine weitere Stärke und wichtige Eigenschaft von Andrée: ihr Kommunikationstalent und Temperament. Sie geht direkt auf die Menschen zu und ihre Begeisterung für die Kunst ist ansteckend, weil sie spürbar echt ist. Die Kunst und die künstlerische Qualität kommen bei Andrée Sfeir-Semler immer an erster Stelle. In einem Interview, das sie vor kurzem anlässlich ihres 40jährigen Jubiliäums in Beirut gegeben hatte, sagte sie: «I don’t think I’m a business woman. I’m Andrée and I can recognize who has the heart on the right spot.» Ich bin nicht einfach eine Händlerin. Ich bin Andrée und kann erkennen, wer das Herz auf dem richtigen Fleck hat.
Mit dem Umzug nach Hamburg kamen neue künstlerische Positionen dazu, die von Andrées Interesse an Konzeptkunst zeugen. So z.B. Robert Barry, dessen Arbeit sie auf der ART COLOGNE im Stand des Kölner Galeristen Paul Maenz sah, oder Sol Le Witt, den sie über Robert Barry kennenlernte. Auch mit Fotografie ergänzte sie ihr Programm, wie z.B. mit dem Schweizer Balthasar Burkhard oder Elger Esser, den Andrée übrigens wiederum auf der ART COLOGNE entdeckte, diesmal in einer Statement-Koje.
2001 markiert ein schwieriges Jahr in der Geschichte der Galerie Sfeir-Semler: Bei der ART Basel wird sie von der Liste ihrer Teilnehmer:innen gestrichen und Katharina Grosse verlässt die Galerie. Das sind zwei harte Tiefschläge, die nicht einfach zu verdauen sind. Andrée wird klar, dass sie ein profilierteres Galerienprogramm entwickeln muss, und der Anfang dazu ergibt sich aus einer Begegnung mit den Werken von Walid Raad/The Atlas Group. Diese entdeckt sie beim Besuch der von Okwui Enwezor kuratierten documenta 11 im Kasseler Kulturbahnhof. In einem relativ klei¬nen Saal, im hinteren Teil der Ausstellungsräume – ich kann mich auch noch ganz genau daran erinnern, weil das für mich ebenfalls eine der großen Entdeckungen dieser documenta war – hingen die großen blauen Fotoprints. Die mono¬chromen Blautöne reichen von Dunkelblau bis Hellblau, jedes Foto misst 111 x 173 Zentimeter, der Titel lautet: Secrets in the open sea. Laut der beiliegenden Infotafel gehörten die Fotos zu einer Serie von insgesamt 29 Fotoabzügen, die 1993 im Zentrum von Beirut unter dem Schutt des im libanesischen Bürgerkrieg zerstörten Geschäftsviertels gefunden worden sein sollen. Firmiert wird die Arbeit von der Atlas Group und dessen Gründer Walid Raad. Ein libanesischer Künstler auf der documenta, das fällt Andrée natürlich sofort auf – und auch, dass dieser von außerordentlicher Qualität ist. Also reist sie kurz darauf nach New York und besucht ihn. Sie treffen sich im Balthazar in Soho. Das Restaurant mit seinem französischen Charme und der feinen Küche passt perfekt für dieses Treffen, das sich als historisch erweisen wird – und zu Andrée Sfeir-Semler. Gastfreundschaft wird bei ihr stets großgeschrieben, und die anlässlich ihrer Eröffnungen organisierten Abendessen sind immer von erlesener kulinarischer Qualität und werden von gutem Wein begleitet. Im Restaurant Balthazar vereinbaren Walid Raad und Andrée Sfeir-Semler eine erste Ausstellung für Januar 2004 in Hamburg. Dies ist der Beginn einer bis heu¬te währenden intensiven und ausgesprochen freundschaftlichen Zusam¬menarbeit, gleichzeitig aber auch ein Wendepunkt in der Geschichte der Galerie Sfeir-Semler.
2004 fliegt Andrée zu «Home Works», einem von Christine Tohme gegründeten interdisziplinären Kunstforum in Beirut und verabredet sich mit ihrem Freund Bernard Khoury. Khoury ist einer der bekanntesten Architekten im Libanon, und sein Büro befindet sich in einem großen Fabrikgebäude im Quarantina-Viertel in Sichtweite des Beiruter Hafens. Beiläufig erzählt Bernard, dass die Etage über ihm schon seit längerem leer stehe. Zehn Minuten später ist der Schlüssel herbeigeschafft und Andrée steht in einer riesigen Halle ohne Wände, ohne Beleuchtung, alle zehn Meter Säulen zur Abstützung der Decke. Sie fragt sich, ob sich hier für sie die einmalige Chance bietet, ihre Galerie auf größere Füße zu stellen, mit neuen Künstlerinnen und Künstlern? «Es könnte der erste White Cube im Nahen Osten werden!», denkt Andrée und stürzt sich unerschrocken ins Abenteuer. Im Rohbau mit der beeindruckenden Größe von 1.400 m² fehlt es an allem: Ein Büro für Andrée, eines für die zukünftigen Mitarbeiter:innen, eine Küche mit Vorratsmöglichkeiten, ein Waschraum mit Toilette – und Elektrik muss auch noch installiert werden. Doch Andrée macht sich ans Werk und plant die Eröffnung für 2005. Alles ist auf gutem Weg, bis wenige Wochen vor der geplanten Eröffnung ein Attentat und verschiedene Bombenexplosionen das Land erneut erschüttern. Kann unter diesen Bedingungen die Eröffnung stattfinden? Oder rutscht der Libanon erneut in einen Bürgerkrieg? Andrée will nicht klein beigeben und hält an ihrem Plan fest. Diese Beharrlichkeit zeichnet Andrée Sfeir-Semler aus – als Mensch und als Galeristin. «Flight 405» – so der Titel der Premierenausstellung – eröffnet im April 2005 und 1.700 Personen strömen herbei. Der Titel der Ausstellung stammt von ihrem Mann Ulli – eigentlich Ulrich Semler – der ihr bei all ihren Unternehmungen zur Seite steht und sie bis heute tatkräftig unterstützt. «Flight 405» war eine fiktive Flugnummer, die auf das Datum der Eröffnung verwies: April 2005. Neun Künstlerinnen und Künstler waren bei der Eröffnungsausstellung mit dabei: Walid Raad mit der Atlas Group, der Hamburger Konzeptkünstler Till Krause, Elger Esser, Alfredo Jaar, Hiroyuki Masuyama, Emily Jacir, Amal Kenawy, Akram Zaatari und Michelangelo Pistoletto. Alle gezeigten Arbeiten entstanden speziell für die Ausstellung und hatten einen Bezug zum Libanon, zur arabischen Welt oder zum Mittelmeer. Till Krause beispielsweise fuhr mit dem Fahrrad den langen Weg nach Beirut und porträtierte mit Beirut Aufessen die Stadt entlang ihrer Restaurants und landestypi¬schen Gerichte. Elger Esser dagegen zeigte in der für ihn typischen Weise zeitlose Küstenlandschaften des Libanon, die er während zweier Aufent¬halte im Land fotografierte. Alfredo Jaar, der chilenische Konzeptkünstler aus New York, schuf sechs Lichtkästen zum Thema Menschenrechte in Ländern, die wie der Libanon Bürgerkriege erleiden mussten.
Wie schon in den Anfängen ihrer Galerientätigkeit, ging es Andrée Sfeir-Semler auch mit ihrer neuen Galerie in Beirut darum, Brücken zu bauen und das Lokale mit dem Globalen zu verbinden – allerdings in einer völlig neuen Skala. 1.400 m² sind Museumsdimensionen, und für einen solchen Betrieb braucht es auch ein gutes Team, sowohl in Hamburg als auch in Beirut. Da kann sich Andrée auf ihre langjährigen festen Mitarbeiterinnen Léa Chikhani, Ana Siler und Lina Kiryakos verlassen. «Brückenbauen ist ein hartes Business», fasst Andrée rückblickend zusammen. «Aber es macht immer noch Spaß, denn es ist nicht einfach ein Job, ‘it’s a mission’.» Und diese Mission erfüllt die Galerie, indem sie sich als Ort des Austauschs und der intellektuellen Freiheit etabliert, trotz Konflikten, Krisen und Kriegen. Selbst nach der verheerenden Explosion am 4. August 2020 im Hafen Beiruts, die die Galerie komplett zerstörte, standen Andrée und ihr Team wieder aus der Asche auf und machten weiter. Dafür gilt ihnen große Hochachtung – genauso wie dem Ausbau ihres Programms, bei dem Andrée Sfeir-Semler ein sicheres Händchen bzw. besser ein ungetrübtes Auge bewies und die wichtigsten Künstler:innen aus der Region unter dem Dach ihrer Galerie vereinte. Dazu gehören u.a.: Walid Raad, Etel Adnan, Yto Barrada, Lawrence Abu-Hamdan, Samia Halaby, Rabih Mroué, Khalil Rabah, Marwan Rechmaoui, Wael Shawky, Rayyane Tabet oder Akram Zaatari. Ihr Vorgehen bei der Auswahl beschreibt Andrée wie folgt: «Ich schaue, ich schaue und ich schaue nochmals. Ich schaue mit meinen Augen und nicht mit meinen Ohren. Es ist nicht das einzelne Werk, das einen Künstler oder eine Künstlerin ausmacht, sondern das Gesamtwerk.” Gefiltert zudem durch ihr kunsthistorisch geschultes Auge und die vielen Besuche in Museumssammlungen rund um die Welt, entsteht so über die Jahre ein einzigartiges und profiliertes Galerienprogramm, das sich auf politisch-konzeptuelle Positionen fokussiert und damit international große Beachtung findet. «Die Galerie Sfeir-Semler ist eine Galerie, die sich engagiert und nicht einfach nur dekoriert», so fasst Andrée ihr Programm zusammen.
Die Künstler:innen der Galerie finden Eingang in hochkarätige Museumssammlungen und werden regelmäßig zu den wichtigen internationalen Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, wie z.B. der documenta oder Biennale in Venedig eingeladen. Erinnern Sie sich beispielsweise an Wael Shawkys Film im ägyptischen Pavillon auf der letzten Biennale in Venedig, der so gut beim Publikum ankam, dass sich täglich lange Schlangen davor bildeten? Nächstes Jahr werden gleich drei Länder-Pavillons von Künstlerinnen der Galerie bespielt: Yto Barrada für Frankreich, Sung Tieu für Deutschland und Alia Farid für Saudi-Arabien. Dahinter steckt viel und harte Arbeit – und Beharrlichkeit. Wer Andrée kennt, weiß wie gut sie im Nachhaken ist. Sie gibt nicht auf, und so gelingt es ihr immer wieder, auch ganz junge Künstler:innen aufzubauen und bekannt zu machen.
Dieses Jahr markiert den 40. Geburtstag der Galerie. Und wie feiert Andrée Sfeir-Semler dieses Jubiläum? Nicht etwa, indem sie ein Buch mit allen Ausstellungen der Galerie herausgibt. Nein, sie entscheidet sich stattdessen, ein umfassendes Buch zu den Entwicklungen der Kunstlandschaft im arabischen Raum herauszugeben und lädt dazu alle wichtigen Stimmen aus der Region ein, einen Beitrag zu schreiben. So entsteht «The Rise of Arab Art», das heute auch hier aufliegt. Vor kurzem erschienen, hat sich dieses Buch schon jetzt zu einem Standardwerk entwickelt. Damit knüpft Andrée Sfeir-Semler an ihre Anfänge und die Dissertation an, in der sie eine Topografie des kulturellen Lebens im Paris des 19. Jahrhunderts entworfen hatte und die bereits in dritter Auflage ausverkauft ist. Gestern erzählte mir Andrée jedoch, dass Hatje Cantz nun das Buch als E-Reader wieder auflegen werde. Herzliche Gratulation!
Ich möchte auch noch die Biografie erwähnen, die Ulrich Semler aus Liebe zu seiner Frau verfasst hat, und die nun ganz frisch aus der Druckerei bei uns auf dem Tisch gelandet ist. Das Buch zeichnet aus persönlicher Sicht das Leben von Andrée Sfeir-Semler nach und zeigt, was diese außergewöhnliche Frau in ihrem Leben und als Galeristin alles bewegt hat.
Liebe Andrée, ich gratuliere nochmals ganz herzlich zum Preis der Art Cologne für Kunstvermittlung. Du hast ihn so was von verdient! Und Ihnen, liebes Publikum, danke ich fürs Zuhören.
NACHTRAG: Die von Mirjam Varadinis erwähnte Biografie über Andrée Sfeir-Semler ist im November 2025 im Wasmuth Verlag erschienen. Das sehr lesenswerte Buch wurde von ihrem Ehemann, dem Journalisten Ulrich Semler, gewissermaßen aus nächster Nähe geschrieben und kostet 28 Euro (ISBN: 978 3 8030 3428 1).
Beachten Sie auch das Grußwort zur Preisverleihung an Dr. Andrée Sfeir-Semler durch den BVDG Vorsitzenden Kristian Jarmuschek.


