03.01.2013 | Interview: Schluss mit dem Anlagenwahn!

Für die Wochenzeitung DIE ZEIT spricht Tobias Timm mit dem BVDG-Vorsitzenden Klaus Gerrit Friese über Entwicklungen auf dem Kunstmarkt, die aktuelle Lage der Galeriearbeit und über notwendige Veränderungen in der öffentlichen Wahrnehmung von Kunst.

Schluss mit dem Anlagewahn! (Auszüge)

Auktionshäuser feierten 2012 neue Rekorde. Doch wie erging es den Galerien und Künstlern? Ein Gespräch mit Klaus Gerrit Friese

ZEIT: Im vergangenen Jahr lief es für die internationalen Auktionshäuser bombastisch. In New York und London wurde auf Auktionen für zeitgenössische Kunst so viel Geld wie noch nie ausgegeben. Wie erging es den deutschen Galerien?

Klaus Gerrit Friese: Es gibt für die Gesamtheit der deutschen Galerien keine verlässlichen Zahlen, aber nach dem Einbruch 2008/09 haben sie in den vergangenen Jahren wieder gut Kunst verkauft. Der deutsche Kunstmarkt kann sich mit den Preisrekorden auf dem internationalen Parkett allerdings nicht wirklich messen.

ZEIT: Was war der Trend im Jahr 2012?

Friese: Die als gesichert angesehene Kunst verkauft sich sehr viel besser als die neue Kunst, die von den Galerien auf den Markt gebracht wird. Das ist ein Trend, der sich im kommenden Jahr womöglich noch verstärken wird. Und früher konnte man auf dem Kunstmarkt mit niemandem reden, ohne in einen kritischen Diskurs über Inhalte eintreten zu müssen. Heute geht es in den Gesprächen fast nur noch um die rein ökonomisierte Werthaltigkeit der Kunst. Es hat sich ein Anlagewahn breitgemacht.

ZEIT: Die Sammler wollen beim Kauf wissen, welche finanzielle Rendite die Kunst abwirft?

Friese: Ja, aber das kann man ihnen natürlich nicht sagen. Der Wert der zeitgenössischen Kunst entwickelt sich meist in einer Art Schaukelbewegung. Bei diesem Schaukeln wird manchmal auch Kunst, die noch vor Kurzem viel wert war, einfach versenkt. Wenn man nicht eine gewisse Liebe zur jungen Kunst entwickelt, wenn man sie nur aus Anlagemotiven kaufen will, dann ist das ein Fehler.

ZEIT: Wie viel verdienen denn die Künstler?

Friese: Die 40.000 bei der Künstlersozialkasse gemeldeten Künstler verdienen im Durchschnitt 11.000 Euro im Jahr. Ich schätze, dass fünfzig bis sechzig Prozent der Galeristen genauso wenig verdienen. Das entspricht natürlich nicht der öffentlichen Wahrnehmung, wo es meist nur um die Spitzenpreise für Bilder von Gerhard Richter geht. Wir haben ziemliche Desaster in den letzten Jahren erlebt, es gibt Galeristen, die sich auch nach Jahrzehnten keine Gehalt auszahlen können. Das ist nicht individuelles Versagen, sondern die alltägliche Lage jener, die die Vermittlung und Entdeckung junger Kunst zu ihrem Beruf gemacht haben.

ZEIT: Müssen die Kunstwerke teurer werden?

Friese: Im Gegenteil. Die jungen Künstler orientieren sich heute nur noch an den Spitzenpreisen, da verlangt ein Akademieabsolvent 10.000 Euro für eine Zeichnung. Aber wer kann sich solche Preise leisten? Die junge Kunst muss günstiger werden, damit die Zahl der Sammler wächst.

ZEIT: Der teuerste lebende Künstler ist ein Deutscher: Gerhard Richter. Aber seine Multi-Millionen-Gemälde werden heute stets in London und New York verkauft. Wieso ist das so?

Friese: Die Schwäche hat mit dem gewaltsamen Bruch in der Tradition des Kunsthandels in der Zeit des Nationalsozialismus zu tun. Und auch damit, dass Deutschland als erstes Land das Folgerecht eingeführt hat, sodass hier bei einem Kunstverkauf fünf Prozent an den Künstler oder dessen Erben abgetreten werden müssen. Heute ist das international weitgehend angeglichen, wenn auch die Schweiz und die USA gut ohne auskommen. Dieses Jahr konnten wir auch eine Gesetzesänderung abwenden, die zu einer weiteren Schwächung des deutschen Marktes geführt hätte: Die Mehrwertsteuer für Kunst sollte von sieben auf neunzehn Prozent angehoben werden. Jetzt wird sie von 2014 an nur auf etwa zehn Prozent steigen.

ZEIT: Was leistet denn der Galerist für den Künstler?

Friese: Er macht auf seine Arbeit aufmerksam. Er vermittelt sein Werk in Sammlungen und in Museen. Es gibt heute keinen bedeutenden Künstler, der nicht wenigstens in den ersten beiden Jahrzehnten seiner Karriere von einem Galeristen unterstützt wurde. Darauf kann man als Galerist stolz sein.

ZEIT: Was muss sich im nächsten Jahr ändern?

Friese: Die Kunst muss aus den Finanzteilen der Zeitungen verschwinden. Das Bewerten von Kunst allein nach Anlagekriterien, das Gerede von Triple-A-Bildern, muss wieder aufhören.

 

Das Gespräch führte Tobias Timm
Quelle:
DIE ZEIT, 27.12.2012 Nr. 01
Foto: Boris Schmalenberger

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