11.04.2012 | Von guten Absichten und schlechten Taten

Der Angriff der Europäischen Kommission auf die bildende Kunst. Von Peter Raue und Friedhelm Unverdorben, Rechtsanwälte der Sozietät Raue, Berlin.

Am 19. November 2010 hat der Rat der Europäischen Union in seiner Entschließung zum "Arbeitsplan für den Kulturbereich 2011 bis 2014" seine Absicht bekräftigt, die "Kultur als Katalysator für Kreativität im Rahmen der Strategie von Lissabon für Wachstum und Beschäftigung" fördern zu wollen. Diese gute Absicht steht aber im krassen Gegensatz zu jüngeren Taten der Europäischen Kommission im Bereich der bildenden Kunst. Von einer Strategie für Wachstum und Beschäftigung kann bei deren jüngster Attacke gegen den ermäßigten Umsatzsteuersatz für Werke der bildenden Kunst jedenfalls nicht die Rede sein. Zumal dies nicht der erste Angriff auf die "Kultur als Katalysator für Kreativität" ist.

Erst wenige Wochen vor dem Entschluss des Rates der Europäischen Union vom 19. November 2010 hatte die Europäische Kommission mit der abenteuerlichen Behauptung überrascht, Lichtbildkunst und Video-Sound-Installationen seien per se keine Kunst (EU-Verordnung Nr. 731/2010 vom 11. August 2010). Hintergrund für diese EU-Verordnung war ein jahrelanger Rechtsstreit in Großbritannien über den anzuwendenden Umsatzsteuersatz bei der Einfuhr einer Lichtinstallation von Dan Flavin und einer Video-Sound-Installation von Bill Viola. Wie in Deutschland so unterliegt auch in Großbritannien die Einfuhr von Kunstgegenständen dem ermäßigten Umsatzsteuersatz. Nachdem das englische Finanzgericht entschieden hatte, dass es sich bei den beiden Arbeiten zweifelsfrei um Kunst handelt und deshalb der ermäßigte Steuersatz Anwendung findet, trat die Europäische Kommission auf den Plan. Sie erließ am 11. August 2010 eine EU-Verordnung, wonach Lichtbildkunst und Video-Sound-Installationen keine Kunstgegenstände seien. Die absurde Begründung der EU-Verordnung: "Nicht die Installation selbst, sondern das Ergebnis ihrer Verwendung (der Lichteffekt) stellt ein 'Kunstwerk' dar". Das Bundesfinanzministerium hat sich dieser kunstfeindlichen Auffassung angeschlossen – auch in Deutschland soll Lichtbildkunst fortan dem vollen Umsatzsteuersatz unterliegen.

Nun aber droht die Europäische Kommission dem gesamten Bereich der bildenden Kunst in Deutschland mit Ungemach. Nach der am 28. Februar 2012 der Bundesrepublik Deutschland zugegangenen Stellungnahme verlangt die Europäische Kommission innerhalb von zwei Monaten die deutschen Vorschriften für die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes (7 Prozent) auf den Verkauf von Kunstgegenständen zu ändern und diese wie herkömmliche Güter mit 19 Prozent zu besteuern, da die derzeit bei uns geltenden Vorschriften nicht mit dem EU-Recht vereinbar seien. Eine Verteuerung der Kunstwerke um 12 Prozent hätte für den deutschen Kunstmarkt naturgemäß gravierende Folgen. Leidtragende wären insbesondere Galeristen, Künstler und Museen: der gesamte Kunsthandel!

Worum geht es? Nach der für die Umsatzsteuer geltenden Richtlinie der Europäischen Union können die Mitgliedsstaaten bei der Einfuhr und dem Verkauf von Kunstgegenständen einen ermäßigten Steuersatz anwenden; allerdings nur dann, wenn der Verkauf direkt durch den Künstler, seinem Rechtsnachfolger oder einem Gelegenheitsverkäufer erfolgt. Nach dem deutschen Umsatzsteuergesetz unterliegen die Einfuhr und der Verkauf von Kunstgegenständen dem ermäßigten Steuersatz von 7 Prozent. Anders als die EU-Richtlinie fragt das deutsche Gesetz aber nicht danach, wer den Kunstgegenstand verkauft. Deshalb unterliegt auch der Verkauf von Kunstgegenständen durch Galerien und den Kunsthandel dem ermäßigten Steuersatz. Bereits seit 1994 enthalten die EU-Richtlinie und das deutsche Umsatzsteuergesetz diese unterschiedlichen Regelungen . In all den Jahren hat die Europäische Kommission keinen Grund gesehen, die deutsche Regelung zu beanstanden.

Jetzt aber wirft sie Deutschland vor, dass die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf sämtliche Lieferungen von Kunstgegenständen gegen die EU-Richtlinie verstoße.  Dabei argumentiert die Europäische Kommission allein nach rechtsformalen Aspekten. Weder setzt sich die Kommission bei ihrem Angriff auf das deutsche Umsatzsteuerrecht mit dem Sinn und Zweck des ermäßigten Steuersatzes für die bildende Kunst auseinander, noch berücksichtigt sie, dass sich aufgrund der von der EU-Richtlinie abweichenden deutschen Regelung für den deutschen Kunsthandel tatsächlich keine Wettbewerbsvorteile ergeben.  Denn auch in anderen EU-Mitgliedstaaten unterliegen Verkäufe von Kunstwerken durch Galerien dem ermäßigten Umsatzsteuersatz, sei es, weil ihre Umsatzsteuergesetze ebenfalls nicht der EU-Richtlinie entsprechen, sei es, weil es in den einzelnen Ländern spezielle Mechanismen gibt. Von einer Rüge der Praxis in den anderen EU-Mitgliedstaaten ist nichts bekannt. Deshalb wäre es nicht überraschend, wenn auch andere EU-Mitgliedsstaaten von der Europäischen Kommission aufgefordert werden, ihre nationalen Regelungen über die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes beim Verkauf von Kunstgegenständen zu ändern.

Es bleibt deshalb zu hoffen, dass sich die deutsche Regierung der Aufforderung der Europäischen Kommission nach einer Änderung des deutschen Umsatzsteuergesetzes widersetzt und gegenüber der Europäischen Kommission darauf dringt, den verunglückten Wortlaut der EU-Richtlinie endlich den Gegebenheiten des europäischen Kunstmarktes anzupassen, Denn Sinn und Zweck des nach der EU-Richtlinie für Kunstgegenstände geltenden ermäßigten Steuersatzes war und ist es, die bildende Kunst in Europa zu fördern. Warum der ermäßigte Steuersatz von diesem in Brüssel immer wieder formulierten Grundsatz aber nur gelten soll für den Verkauf des Kunstwerks durch den Künstler selbst, nicht aber auch für den Verkauf durch die Galerie des Künstlers, ist nicht nachvollziehbar. Damit wird die existentielle Arbeit der Galerien verkannt: Sie kümmern sich oft über Jahre um einen Künstler, ehe dieser überhaupt wahrgenommen und anerkannt wird. Sie unterstützen und beraten die Museen und tragen zur kulturellen Bildung der interessierten Öffentlichkeit bei. .Mit der Abschaffung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes würden zudem auch die öffentlichen Museen empfindlich getroffen, die ohnehin nur über geringe Ankaufetats verfügen.

Die Europäische Kommission misst dem Kunsthandel und der kulturellen Vielfalt in Europa offenbar keine oder nur eine geringe Bedeutung zu. Es wird deshalb höchste Zeit, dass der schönen Absichtserklärung des Rates der Europäischen Union über die "Förderung der Kultur als Katalysator für Wachstum und Beschäftigung" endlich Taten folgen, statt ständig Angriffe auf dem kulturellen Feld zu produzieren. Ein Anfang wäre gemacht, wenn die Europäische Kommission die herausragende Bedeutung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für den Bereich der bildenden Kunst anerkennt. Diese Zeilen sind zugleich ein Appell an den Staatsminister für Kultur und Medien Bernd Neumann seine erfreulich klare Haltung in dieser Sache beizubehalten und der Forderung der Europäischen Kommission nach einer Umsatzsteuer-Erhöhung für den Kunsthandel weiterhin entschieden entgegenzutreten.

Peter Raue/Friedhelm Unverdorben

erschienen in: KunstZeitung. April 2012. S.17