08.07.2016 | Offener Brief zum Kulturgutschutzgesetz

In einem offenen Brief fordern 12 ehemalige Museumsdirektoren, u.a. Götz Adriani, Klaus Gallwitz und Wenzel Jacob die Ministerpräsidenten der Länder auf, das Kulturgutschutzgesetz im Bundesrat zu kippen.

Bereits am 1.07. errreichte der Offene Brief die Ministerpräsidenten der Länder - am heutigen Freitag 8.07.2016 stimmten sie jedoch mehrheitlich unbeeindruckt davon und von allen guten Argumenten dem Gesetzentwurf zu und folgten ebenfalls nicht der Empfehlung des Kulturaussschusses, das Gesetz bereits nach 2 Jahren vor allem hinsichtlich der entstehenden Kosten für die öffentliche Hand zu evaluieren.

(Untenstehend der Gesetzentwurf der Bundesregierung und die nun beschlossene Fassung des KGSG als pdf-Dokumente.)

Lesen Sie den offenen Brief hier:

OFFENER BRIEF
An die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten von
Baden-Württemberg, Herrn Winfried Kretschmann
Bayern, Herrn Horst Seehofer
Brandenburg, Herrn Dietmar Woidke
Hessen, Herrn Volker Bouffier
Mecklenburg-Vorpommern, Herrn Erwin Sellering
Niedersachsen, Herrn Stephan Weil
Nordrhein-Westfalen, Frau Hannelore Kraft
Rheinland-Pfalz, Frau Malu Dreyer
Saarland, Frau Annegret Kramp-Karrenbauer
Sachsen, Herrn Stanislaw Tillich
Sachsen-Anhalt, Herrn Reiner Haseloff
Schleswig-Holstein, Herrn Torsten Albig
Thüringen, Herrn Bodo Ramelow

An:
den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Herrn Michael Müller
den Präsidenten des Bremer Senats, Herrn Carsten Sieling
den Ersten Bürgermeister der Hansestadt Hamburg, Herrn Olaf Scholz

01.07.2016
Sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren,
wir, die ehemaligen Direktoren großer deutscher Museen, möchten die einzelnen Bundesländer dringend bitten, am 8. Juli 2016 das geplante Kulturgutschutzgesetz nicht wie vorgesehen zu verabschieden. Nur über die Anrufung des Vermittlungsausschusses könnte die sachliche Diskussion erreicht werden, die dringend erforderlich ist.
Der Schaden, den das Gesetz anrichtet, ist schon vor einem Inkrafttreten gewaltig. Deutschland erhielte damit das am wenigsten spezifische Kulturgutschutzgesetz Europas, das auf bürokratischen Vorgaben und Genehmigungsverfahren auf Antrag beruht.

Der Markt für Kunstwerke und hochrangige historische Zeugnisse verlagert sich seit Bekanntgabe des Gesetzesvorhabens beschleunigt aus Deutschland heraus, hin zu den Metropolen und Handelsplätzen wie New York, London, Paris, Zürich und den internationalen Kunstmessen in Basel, Maastricht und Miami.
Deutschland hat bereits jetzt das Nachsehen und wird weiter Sammler, Händler und viele Kunstwerke verlieren. Der Exodus ist im Gange, der Schaden bereits groß und kaum noch umkehrbar. So wird Deutschland ärmer. Dabei gibt es kaum einen unmittelbaren, nennenswerten Nutzen aus dem sogenannten Kulturgutschutzgesetz, sondern stattdessen zahlreiche Nachteile. Keinem bringt dieses Gesetz einen Vorteil, auch nicht den Museen.

Moralische Absichten rechtfertigen nicht die Untauglichkeit der Mittel mit umständlichen Verfahren und ihren bürokratisch normativen Vorschriften jenseits der Realität.

Die Gesetze zum Schutz „nationalen Kulturgutes“ stammen in anderen europäischen Ländern zum Teil aus einer Zeit, als es die EU und den Europa-Gedanken im heutigen Sinne noch nicht gab. Zum jetzigen Zeitpunkt erscheint mir das Vorhaben in Deutschland als ein Akt nationaler Abkapselung - und das gerade von dort aus, wo man allen Grund hätte, sensibler für eine solche Akzentuierung zu sein. Die Lösung liegt, wie bereits in den großen Nachbarstaaten seit langem erprobt darin, revidierte Listen zu erstellen und auf dem Laufenden zu halten, welche die kulturhistorisch bedeutsamen Kunstwerke und Zeugnisse als Patrimonium benennen und klar identifizieren. International bewährt ist ergänzend ein befristetes staatliches Vorkaufsrecht, um den Erwerb durch eine öffentliche Institution unter Zuhilfenahme weiterer Geldgeber zeitnah zu organisieren. In England und Frankreich
wird das seit Jahrzehnten erfolgreich praktiziert. Warum soll das bei uns nicht möglich sein?

Den deutschen Museen stehen allerdings seit zwei Dezennien keine wesentlichen Ankaufsmittel mehr von ihren Trägern, den Kommunen und den Ländern zur Verfügung, um der Öffentlichkeit Kulturschätze und historische Werke zu sichern.

Im Gegensatz dazu möchte die Politik des Bundes nationale Marktbeschränkungen mit einer Ausfuhrgenehmigung auf Antrag durchsetzen und die Verfahren noch zu schaffenden Dienststellen in den 16 Bundesländern überantworten.

Es gilt, Schaden von Deutschland abzuwenden, die Liberalität des Kunstmarktes zu wahren und zugleich die hochbedeutenden Kunstwerke (Patrimonium) und Zeugnisse der deutschen Kulturgeschichte durch ein staatliches Vorkaufsrecht im Lande und im öffentlichen Besitz zu halten.

Die Politik zeigt sich zunehmend außerstande, die Folgen und Folgekosten ihres Handelns auch nur ansatzweise abzuschätzen. Was dieses Gesetz bewirken würde, lässt sich bereits im Voraus absehen: Es werden neue Bürokratien mit umständlichen Verfahren entstehen, zudem Gesetzesverfahren durch alle Instanzen, um zu klären, was rechtens ist. Daraus folgen schwere Einbußen bei den Händlern, Sammlern und Museen. „Splendid isolation“ für den Kulturstandort Deutschland, wo normatives Regulieren das Ideal ist und die Wirklichkeit wenig gilt.

Ohne eine Berechnungsgrundlage zu nennen, will das Gesetz bis dato die Grenze der Zustimmungspflicht anhand des Euro-Werts eines Kunstwerks festschreiben. Nur: Der Wert eines Kunstwerks ist von Jahr zu Jahr, von Ort zu Ort grundverschieden und hat rapide Konjunkturen. Es gibt ganz unterschiedliche Bewertungen: Ankaufspreis gegen Verkaufspreis, Materialwert, Verkehrswert, Zeitwert, Wiederbeschaffungswert, Auktionsansatzwert, Schätzwert, Versicherungswert und was noch alles? Dies wird mehr Schaden als Nutzen verursachen.
Es kostet die Museen und alle öffentlichen wissenschaftlichen Sammlungen erhebliche Einbußen, wenn mit dem internationalen Kunsthandel in Deutschland die Sammlerkultur unter Generalverdacht gestellt wird. Sie werden gezwungenermaßen auf andere Kunstmärkte ausweichen, wo ihre Dispositionsfreiheit nicht von staatlicher Seite gesetzlich bestritten wird.
Der Handel und die Sammler hochwertiger Kunst fliehen bereits jetzt aus Deutschland, um den Folgen des Gesetzes durch Vorgriff zu entgehen. Das Gesetz bewirkt das Gegenteil und beschleunigt die Abwanderung wertvoller Kunstwerke von nationaler Bedeutung rapide. Sammlungen wurden und werden aus den Museen zurückgezogen und zum Transport verpackt. Die LKWs der Kunstspeditionen rollen nach Nordwesten. „Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage“ (Schätzungen belaufen sich bereits jetzt auf Summen von zwei bis drei Milliarden). Seit einem Jahr werden vermehrt deutsche Gemälde, die zuvor über Jahre als Dauerleihgabe in Museen dem Publikum zugänglich waren, auf internationalen Auktionen angeboten. Die kulturellen Verluste entstehen hierzulande und können nicht mehr wettgemacht werden. Und dies ist erst der Anfang eines unnützen bürokratischen Eingriffs als Trauerspiel bornierter Uneinsichtigkeit.

Dass die „Listen national wertvollen Kulturguts“ zwischen 1955 und 2016 vom Staat unzureichend geführt wurden, ist kein Argument für einen ministeriellen Rundumschlag ohne Rücksicht auf Verluste. Das Listenprinzip ist besser als das extensive „Genehmigung auf Antrag“-Verfahren des Abwanderungsgesetzes, das jetzt droht.
Ohne Zollkontrollen und mit sechs offenen Grenzen ist Deutschland in der EU wie ein Sieb, das nichts halten kann. Münzen und Kleinkunst verschwinden in Jackentaschen und alles andere in PKWs und Kleintransportern auf dem Weg über die grünen Grenzen. Die Lagerhallen in den Beneluxstaaten boomen und die Schweiz baut an Freeports, wo die großen
Kunstwerke aus Deutschland auf Nimmerwiedersehen verschwinden.

Die deutlichen Bedenken des Normkontrollrats sind nicht ausgeräumt worden: Das Gesetz, das über Gemälde hinaus 30 weitere Kategorien umfasst, wird zehntausende von Prüfungen beim Zoll und bei den Ländern zur Bedingung machen – mit Kosten, welche in hohe Millionenbeträge für die Exportverfahren gehen. Der Verfassungsrichter und Sammler Harald Falckenberg schätzt die jährlichen zusätzlichen Verwaltungskosten auf über 40 Millionen Euro, die auf die Bundesländer zukommen.

Der in Brüssel errichtete und allgemein unumstrittene Raubkunstteil des Gesetzes ist hingegen durchaus praktikabel und könnte, ja sollte davon abgetrennt und beschlossen werden. Es gilt, Schaden vom deutschen Volk zu wenden und dem Einzelnen sein Eigentumsrecht an Kunstgegenständen ungeschmälert zu erhalten.
Der Besitz von Kunstwerken, die rechtmäßig erworben worden sind, darf durch kein anderes Rechtskonstrukt in Frage gestellt und aufgehoben werden.

Was aber „nationales Kulturgut“ ist, hat der Gesetzgeber weder für sich und noch für die Betroffenen hinreichend definiert. Um den Mangel an Inhaltlichem zu verdecken, hat man es formal von Wert und Alter abhängig gemacht. Würde dieses Gesetz in Kraft treten, hieße das: Kulturrecht ohne Rechtskultur.

Mit freundlichen Grüßen,
Prof. Dr. Hans Ottomeyer, ehemaliger Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum, Berlin

Auch im Namen von:
Prof. Dr. Götz Adriani, ehemaliger Direktor der Kunsthalle Tübingen
Prof. Dr. Klaus Gallwitz, ehemaliger Direktor des Städelschen Kunstinstituts, Frankfurt am Main
Prof. Dr. Herwig Guratzsch, ehemaliger Direktor des Museums der bildenden Künste Leipzig
Prof. Dr. Christian von Holst, ehemaliger Direktor der Staatsgalerie Stuttgart
Prof. Dr. Wilhelm Hornbostel, ehemaliger Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe, Hamburg
Dr. Wenzel Jacob, ehemaliger Direktor der Bundekunsthalle, Bonn
Prof. Dr. Jan Kelch, ehemaliger Direktor der Gemäldegalerie Berlin, SMPK
Dr. Ulrich Schumacher, Gründungsdirektor Josef-Albers-Museum, Bottrop
Prof. Dr. Heinz Spielmann, ehemaliger Direktor des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum Schloss Gottorf
Prof. Dr. Matthias Winner, ehemaliger Direktor des Kupferstichkabinettes Berlin, SMPK

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