02.06.2020 | Wege aus der CORONA-Krise
Vorbemerkung – Kulturwirtschaft und Kunstmarkt neu denken
Die Kulturwirtschaft arbeitet am Puls der Zeit, ist vielseitig und risikobereit. Kultur ist mit ihren elf Teilmärkten ein dynamischer Wirtschaftsfaktor mit starken urbanen Synergieeffekten. Sie wird im „Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung“ wegen ihrer innovativen Kraft, ihres Wachstumspotentials und als Arbeitgebermarkt gewürdigt. Kultur schafft darüber hinaus in einer zivilen Gesellschaft die notwendigen, über bloße Nützlichkeitserwägungen hinausweisenden Wahrnehmungs- und Denkräume. Kultur ist systemrelevant.
In der Corona-Pandemie wurde die Kulturwirtschaft durch den Shutdown und notwendige Vorkehrungen gegen die Ausbreitung des Virus radikal geschädigt. Ihr droht ein wirtschaftlicher Kollaps ungeahnten Ausmaßes. Galerien erleiden in der andauernden Krise Umsatzeinbrüche zwischen 60 und 100 Prozent. Ihrem unverschuldeten Ruin muss nachhaltig entgegengesteuert werden.
Bund und Länder haben mit dem ersten Zuschussprogramm für kleine Betriebe sowie mit dem Kurzarbeitergeld eine effektive Hilfe geboten, die auch von Galerien in Anspruch genommen wurde. Der vorgezogene Verlustrücktrag sowie Möglichkeiten der Abgabenstundung werden eine Wirkung entfalten und temporär Liquidität schaffen. Das große Konjunkturprogramm der Bundesregierung wird ab Juli allen mittelständischen Unternehmen mit nachweislich heftigen Umsatzeinbrüchen für weitere drei Monate unter die Arme greifen.
Doch die Corona-Krise reißt auch alte Wunden auf. Sie fördert die Auswirkungen der überbordenden Belastungen, die dem deutschen Kunstmarkt obliegen, sichtbar zutage. Außenstehende monieren die Unreguliertheit eines Marktes, der aber tatsächlich seit Jahrzehnten von spezifischen Sonderabgaben, Aufzeichnungs- und Sorgfaltspflichten, Ein- und Ausfuhrbeschränkungen etc. überzogen wird. Die Kraft des Kunstmarktes lag bisher darin, trotz der gesetzlichen Rahmenbedingungen – die ihn eher behindern als fördern – zu bestehen.
Die Leistungsträger der Kulturwirtschaft – die Künstler und Produzenten ebenso wie die Vermittler und Kulturbetriebe – müssen von der Politik insgesamt mehr Anerkennung und marktfreundliche Rahmenbedingungen erhalten. Der Kunstmarkt ist davon weit entfernt.
Bislang erhalten Galerien keine strukturierte Marktförderung durch den Bund. Ganz anders die Filmwirtschaft, in die jährlich 210 Mio. Euro aus dem Haushalt der BKM fließen. Ausgewählte Buchhandlungen und Verlage erfreuen sich hoher fünfstelliger Zuschüsse und Prämien durch die Kulturstaatsministerin.
Die Arbeit der Galerien ist mit den Verlagen und Buchhandlungen absolut vergleichbar. Jede Galerie ist ein Kulturort. Der BVDG erwartet von der Bundesregierung und insbesondere von der Beauftragten für Kultur und Medien, mit den Akteuren des Kunstmarktes in einen Dialog zu treten und nachhaltige Strukturen zu schaffen, damit Galerien die Krise überleben und wieder vollen Einsatz für die Kunst bieten können.
Der Weg zu einer prosperierenden Kulturlandschaft und zu einer nachhaltigen Existenzsicherung der Künstler*innen führt über verbesserte Rahmenbedingungen im Markt. Eine neue Sicht der Kulturpolitik auf die hochambitionierte Tätigkeit inhabergeführter Galerien ist überfällig.
Der BVDG schlägt in Anbetracht der Pandemie – und weit darüber hinaus – folgendes Maßnahmenpaket zur Förderung des deutschen Kunstmarktes vor.
1. Mehrwertsteuer ermäßigen
7 statt 19% – die Wiedereinführung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes von 7 Prozent für den gewerblichen Kunstverkauf steht absolut im Zentrum der angestrebten Revitalisierung des Kunstmarktes.
Das Konjunkturprogramm der Bundesregierung hat Anfang Juni 2020 vor allem mit der Mehrwertsteuersenkung von 19 auf 16 Prozent für alle Wirtschaftszweige überrascht. Für Galerien ist diese temporäre Ermäßigung weder maßgeblich noch hilfreich. Denn das unerträgliche Missverhältnis von 11 bzw. 12 Prozent zwischen der Vollbesteuerung der Galerien einerseits und der Ermäßigung für die Künstler andererseits bleibt erhalten.
Die Steuerermäßigung für Galerien wurde 2014 auf Drängen der Europäischen Union abgeschafft – für bildende Künstler*innen jedoch beibehalten. Die Folge: massive wirtschaftliche Einbußen, Verzerrungen, Galeriensterben. Die Ungleichbehandlung besteht auch im Vergleich zur Besteuerung anderer Kulturgüter (z.B. Bücher, Konzerttickets).
Die Bundesregierung ist sich dieser Problematik bewusst und hat das Thema deshalb auf die Agenda ihres Koalitionsvertrages gesetzt. Dort heißt es: „Wir setzen uns auch auf europäischer Ebene für die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes bei gewerblich gehandelten Kunstgegenständen ... ein.“
Mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft werden sich Spielräume für entsprechende Initiativen ergeben. Dass solche Initiativen von der Bundesregierung nicht längst ergriffen wurden, ist ein Versäumnis, für das der deutsche Kunstmarkt kein Verständnis hat. Den großen Reden von „Kunst und Kultur als Lebensmittel“ müssen ebenso große Taten folgen – nicht nur in der Gastronomie, sondern in der Kultur selbst.
In Übereinstimmung mit den Partnerstaaten muss die Bundesregierung Wege finden, kulturschädliche EU-Vorgaben in Richtlinien und Verordnungen zu revidieren. „Die anstehende deutsche Ratspräsidentschaft wird die außerordentliche Bedeutung der Kultur für unsere Gesellschaft in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen.“ Diese Aussage wird der Maßstab für die Kulturpolitik des Bundes am Ende des Jahres 2020 sein.
Ziel muss sein, den ermäßigten Umsatzsteuersatz in allen EU-Staaten gleichermaßen für alle Kunstmarktakteure einzuführen. Denn es ist dringend geboten, den deutschen und den europäischen Kunstmarkt insbesondere im Wettbewerb gegenüber den USA und China zu stärken.
2. Kaufanreize schaffen
Anreize für den Erwerb von Kunstwerken im gewerblichen Handel bzw. in Galerien können durch steuerliche Absetzbarkeit bewirkt werden:
a) durch die Anhebung der steuerlichen Absetzbarkeit für den Ankauf von Kunstwerken durch Unternehmen von derzeit 5.000 auf 20.000 Euro.
b) durch die Einführung einer steuerlichen Absetzbarkeit für den Ankauf von Kunstwerken durch Privatpersonen bis 20.000 Euro.
Hiermit würden nicht nur Galerien, sondern auch Künstler*innen, die noch nicht „anerkannt“ sind, gefördert.
Optimal wäre die Einführung einer generellen einkommensteuerlichen Absetzbarkeit aller Aufwendungen für Kulturgüter und kulturelle Leistungen. Der Erwerb von Kunstwerken und Büchern, die Kosten für Konzert-, Museums-, Kino-, Theater- und Operntickets etc. ist beleg- und identifizierbar. Die steuerliche Geltendmachung solcher Ausgaben wäre ein echter Anreiz für den „Kulturkonsum“ und käme allen durch die Pandemie geschädigten Branchen der Kulturwirtschaft, den öffentlichen Einrichtungen und somit auch den Künstler*innen zugute.
3. Galerien-Expertise nutzen
Als pragmatische Idealisten und Unternehmer sind Galerist*innen die Entdecker, Partner und Gatekeeper für zeitgenössische Künstler. Künstler schaffen Kunstwerke. Galerien bieten Räume und Netzwerke, Fachwissen und eine Infrastruktur zur Vermittlung ebendieser Werke. Eine Galerie ist vom Vertrauen in die Arbeit der Künstler*innen und in ihr Potential getragen. Ihr Engagement ist hoch, ihr Atem lang und ihre Beziehung zu den Künstlern intensiv. Ohne die von den Galerien geschaffene Öffentlichkeit bleibt zeitgenössische Kunst ohne Resonanz.
Die Expertise der Galerien und des Kunsthandels muss von der öffentlichen Hand verstärkt genutzt werden. Zum Beispiel durch die Integration von Galerien bei öffentlichen Kunst-am-Bau-Projekten: durch Teilnahme an Ausschreibungen sowie durch Berufung in entsprechende Jurys. Als Ausstellungsmacher haben Galerist*innen intensive Erfahrungen mit Architektur. Sie sind als Berater und Mitgestalter geradezu prädestiniert – alles spricht für die Einbeziehung ihres Know-hows durch öffentliche Bauherren.
Zahllose Museen der öffentlichen Hand profitieren bei ihren Ausstellungen von der Expertise, der Künstlervermittlung und den Leihgaben der Galerien. Umgekehrt sollten die Ankaufsetats der Kultureinrichtungen in Bundes- und Länder-Trägerschaft erhöht – wenn nicht überhaupt erst geschaffen – und für den Erwerb zeitgenössischer bildender Kunst bei Galerien investiert werden. Von einer solchen Initiative profitieren allen Beteiligten, denn es werden Gegenwerte für Werte geboten.
Die Expertise der Galerien nutzen – daraus folgt auch: ihre Interessen zu schützen. Bereits seit Mitte Oktober 2019 erheben die USA Strafzölle bei der Einfuhr von künstlerischen Druckgrafiken und Fotografien. Diese Revanche der amerikanischen Administration für europäische Airbus-Subventionen trifft deutsche Galerien ebenso grundlos wie willkürlich - hat aber bisher zu keinerlei Protest seitens der Bundeskulturpolitik geführt.
4. Bürokratie abbauen
Strangulierende Gesetze, Verordnungen und Richtlinien haben dem Kunstmarkt in den letzten drei Legislaturperioden zugesetzt. Vor allem das Kulturgutschutzgesetz (KGSG) hat mit 30-jährigen(!) Aufbewahrungspflichten, teils kaum zu erbringenden Nachweis- pflichten sowie mit einem verschärften Aus- und Einfuhrregime zu einer Stagnation des Kunsthandels geführt. Im Rahmen der bevorstehenden Evaluation des KGSG im kommenden Jahr müssen diese Fehler behoben werden.
Obwohl bislang keine Straftaten oder Verfahren mit Geldwäschebezug im deutschen Kunstmarkt anhängig sind, hält sich die Unterstellung seiner Anfälligkeit für dieses Vergehen robust. Auch das neue Geldwäschegesetz (GwG) stützt sich bei entsprechenden Behauptungen auf nicht näher erläuterte "Beobachtungen". Kurzum: das GwG gebietet eine Kaskade an betrieblichen Aufwendungen, Risikoanalysen, Dokumentations-, Melde- und Schulungspflichten, Haftungsfragen. Die juristische Kategorie der Verhältnis- mäßigkeit wurde auch hier außer Kraft gesetzt und die Kapazitäten falsch eingeschätzt: eine Galerie ist keine Bank.
Unter dem Stichwort Bürokratiebremse hat Ralph Brinkhaus kürzlich dafür votiert, dass „der Gesetzgeber sich selbst verpflichten sollte, nach der Krise keine Vorhaben auf den Weg zu bringen, die neuen Aufwand für die Unternehmen verursachen“ (Fremde Federn, FAZ, 20.05.20). Auch ältere Gesetze sollten auf überflüssige Regularien überprüft und entsprechend revidiert werden. Es ist Zeit, die Rede vom Bürokratieabbau endlich in Taten umzusetzen.
5. Künstlersozialabgabe senken
Galerien leisten mit der Künstlersozialabgabe einen wesentlichen Beitrag zur Künstler- sozialversicherung. Jedwedes Entgelt, mit dem Künstler*innen honoriert werden, löst beim Vermarkter eine Künstlersozialabgabepflicht aus. Grundlage hierfür ist die praxisferne und falsche Konstruktion des Künstlersozialversicherungsgesetzes (KSVG), das die Vermarkter als Arbeitgeber und die Künstler als Arbeitnehmer definiert. Künstler sind aber keine Angestellten, dies entspräche auch nicht ihrem Selbstverständnis.
De facto werden also Unternehmer (Galerien) gezwungen, die Sozialversicherung für andere Unternehmer (Künstler) zu finanzieren – zuzüglich zur Sozialversicherung eigener angestellter Mitarbeiter. Dieses einzigartige Konstrukt führt bereits seit Jahrzehnten zu einer Benachteiligung deutscher Galerien gegenüber ihren ausländischen Mitbewerbern.
Sobald Kulturvermarktung überhaupt wieder stattfinden kann, muss die Künstlersozialabgabepflicht auf gesetzlichem Wege modifiziert werden. Und zwar durch:
a) die Erhöhung des Bundeszuschusses zur Künstlersozialkasse (KSK) von derzeit 20% auf mindestens 40% des Haushaltsvolumens der KSK (entspricht etwa 400 Mio. Euro)
b) die Einführung einer Umsatzschwelle für kleine Betriebe der Kulturwirtschaft, ab der die Künstlersozialabgabepflicht überhaupt erst einsetzt (Vorschlag: 100.000€ p.a.)
c) die Senkung des Künstlersozialabgabesatzes auf konstant maximal 3% (2019: 4,2%; zwischenzeitlich wurde die Anhebung des Abgabesatzes auf 5% ab 2023 beschlossen [BVDG, 5.11.2022; https://www.kuenstlersozialkasse.de/service/ksk-in-zahlen -> Abgabesätze]))
d) die Änderungen des KSVG bei Auslandsbezügen und bei Vermittlungsgeschäften mit sog. „Dritten“: Aktuell sind deutsche Galerien z.B. selbst dann in voller Höhe künstlersozial- abgabepflichtig, wenn sie lediglich eine vermittelnde Rolle zwischen ausländischen Künstlern und ausländischen Partnergalerien spielen und eine Provision erhalten. Auch ist die Abgabepflicht für Entgeltzahlungen an Künstler, die ständig im Ausland leben und nicht in der KSK versichert sind, in hohem Maße ungerechtfertigt.
e) die Anhebung der Stichprobenprüfung der Versicherten durch die Kasse von derzeit fünf auf mind. 20 Prozent pro Jahr. Ziel: Abbau und Verhinderung der Inanspruchnahme der Künstlersozialversicherung durch Nichtberechtigte.
Bundessozialminister Hubertus Heil gibt in einem Schreiben an den BVDG vom 17. April 2020 Anlass zur Hoffnung: „Wir werden prüfen, ob auf gesetzlicher Ebene Maßnahmen möglich und notwendig sind, um die Abgabenlast der Unternehmer für die Zeit nach der Corona-Pandemie zu begrenzen.“
6. Kunstmessen unterstützen
Galerien müssen im internationalen Wettbewerb bestehen. Kunstmessen sind als analoge Kommunikationsforen und Publikumsmagnete für alle Akteure der Kunstszene (Künstler, Sammler, Händler, Kuratoren etc.) unverzichtbar. Inländische Kunstmessen haben regionale Strahlkraft und sind ein kultureller Standortfaktor mit hohen wirtschaftlichen Synergieeffekten. Ausländische Kunstmessen verursachen hohe Kosten und sind für die Marktpräsenz der Galerien unumgänglich. Die finanzielle Last ruht auf den Schultern der Galerien, nicht der Künstler – und ihr Risiko ist immer hoch.
Deshalb schlägt der BVDG abermals eine gezielte Messeförderung durch den Bund vor:
a) die Förderung der Teilnahme von Galerien an inländischen Kunstmessen.
b) die Integration ausländischer Kunstmessen in die Außenwirtschaftsförderung.
Empfohlen wird die Etablierung förmlicher Anmelde- und Auswahlverfahren der Teilnehmer in Kooperation mit den einschlägigen Verbänden. Ein Konzept zur Kunstmesseförderung des BVDG in Kooperation mit dem Landesverband Berliner Galerien liegt ebenso vor wie zum nachfolgenden Thema Digitalisierung.
7. „GO DIGITAL“ optimieren
Galerien haben sich in der Zeit des akuten Lockdowns und der Absage aller Kunstmessen durch eine verstärkte Präsenz im Netz bzw. in den sozialen Medien beholfen und dabei gemeinsam mit ihren Künstler*innen innovative Formate entwickelt.
Die Unterstützung von Unternehmen bei der Digitalisierung von Betriebsorganisation, Marketing und Kommunikation durch das Bundesförderprogramm „GO DIGITAL“ muss gezielt für die unterschiedlichen Teilbranchen der Kulturwirtschaft erweitert und auf ihre spezifischen Bedarfe zugeschnitten werden. Die digitale Fitness der Galerien dient nicht zuletzt ihrer Stärkung gegenüber den Auktionshäusern, bei denen Künstlerförderung nicht im Mittelpunkt steht.
BVDG, Berlin Juni 2020