13.07.2015 | Thorsten Giehler: Und zu Deinem Schutz sollst Du nur mir gehören... Erfahrungen mit Kulturgutschutz in Europa und Asien

Der Autor hat von 1997 bis 2000 bei den Vereinten Nationen in Italien gearbeitet und in den letzten acht Jahren in China gelebt. Er arbeitet für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Eschborn.

Die Welt ist schockiert von den Fotos und Videos, die die unwiederbringliche Zerstörung antiker Schätze im Irak zeigen. IS Kämpfer, die mit einem Presslufthammer im Museum von Mossul wüten und die assyrischen Ausgrabungsstätten von Ninive und Nimrud dem Erdboden gleich machen.

Parallel dazu findet gerade in Deutschland die Diskussion zur Verschärfung der Rahmenbedingungen des Antiken- und Antiquitätenhandels statt, um - wenn man den Initiatoren der Diskussion folgt - Raubgrabungen und den illegalen grenzüberschreitenden Handel zu unterbinden. Eine Gesetzesnovellierung in Deutschland solle einen wichtigen Beitrag zum Kulturgüterschutz leisten und indirekt auch die Finanzierungsquellen terroristischer Gruppen austrocken helfen. Inwieweit jedoch Ausfuhrverbote von Antiken aus Bürgerkriegsgebieten nach Europa oder Amerika einen Beitrag zu deren Schutz leistet, ist angesichts dieser Bilder nicht ganz nachvollziehbar.

Nach über zehn Jahren Krieg im Irak, drei Jahren Bürgerkrieg in Syrien und angesichts der fragilen Lage von Ägypten, Libyen und dem Iran können wir, so sarkastisch es klingt, froh sein, dass viele Antiken aus dem Zweistromland, Persiens und aus dem Reich der Pharaonen sicher und allen zugänglich auf der Museumsinsel, im Louvre oder im British Museum den heutigen und zukünftigen Generationen erhalten bleiben. Es ist zum verzweifeln, dass gerade die kulturhistorisch reichsten Länder der Erde drohen zu „failed states“ zu werden oder - wie im Falle von Afghanistan, Mali, Irak und Syrien - bereits sind.

Die Kulturstaatsministerin und so mancher Archäologe wünschen sich jedoch strengere Einfuhrkontrollen, Provinienznachweise und Exportbescheinigungen für Kulturgüter und Wertgegenstände aller Art. Ein Beitrag aus dem friedlichen Berlin auf der Suche nach sauberen Lösungen in einer chaotischer werdenden Welt.

Kulturgüterschutz in Deutschland
Zwei Gesetze in Deutschland regeln seit 2007 den Kulturgüterschutz: das Kulturgutschutzgesetz und das Kulturgüterrückgabegesetz. Das erste dient dem Schutz deutschen Kulturguts gegen Abwanderung ins Ausland, das zweite dient der Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr und Übereignung von Kulturgut und regelt die Rückgabe unrechtmäßig eingeführter Kulturgüter. Derzeit sollen im Rahmen einer Novellierung dieser Gesetze weitere Verschärfungen zur gesetzlichen Norm werden. Hierzu gehört der Vorschlag der Kulturstaatsministerin Monika Grütters, dass es zukünftig keine Einzeleintragungen von deutschen Kulturgütern in Listen mehr geben soll, die bestimmen, welche Kulturgüter das Land nicht mehr verlassen dürfen (siehe Datenbank national wertvollen Kulturguts: www.kulturgutschutz-deutschland.de). Statt dessen sollen abstrakte Kategorien von Alters- und Wertgrenzen treten. Zweitens sollen die Einfuhrbestimmungen und die Bedingungen für den Handel ausländischer Kulturgüter drastisch verschärft werden. Ohne Ausfuhrbescheinigung und Provenienznachweise soll die Einfuhr und der Handel von Antiken und Antiquitäten verboten werden. Die Beweislast für einen rechtmäßigen Besitz läge damit beim Eigentümer. Damit würden zukünftig implizit alle weltweit geltenden 140 nationalen Gesetze zum Kulturgüterschutz an deutschen Grenzen zur Anwendung kommen.

Der illegale Handel von Antiquitäten wird gerne verglichen mit dem Handel von Waffen, Drogen oder Elfenbein. Der Kunsthandel und private Sammler werden dem Generalverdacht unterworfen, sie würden vor allem Kulturgüter aus Raubgrabungen und Museumsdiebstählen zur Ware machen. Der Ruf nach weiterer staatlicher Reglementierung und in letzter Konsequenz nach Verstaatlichung von Kulturgut ist laut zu vernehmen.

Um illegalen grenzüberschreitenden Handel zu unterbinden und den Ursprungsländern ihren nationalen Schatz zu erhalten, bedarf es jedoch nicht nur Maßnahmen aus Berlin und Brüssel. Ein strenger Zollbeamter am Frankfurter Flughafen, der mit hoffentlich geschultem Blick das sumerische oder altägyptische Original von der billigen Touristenkopie unterscheiden kann, wird nicht die Lösung bringen. Prohibition verhindert nicht die illegalen Märkte, sondern schafft sie. Und die Illegalität beginnt nicht erst an den Außengrenzen der Schengen Staaten, sondern viel früher.

Um die Komplexität der Situation zu verstehen, müssen wir uns die Situation in den Ursprungsländern von Antiken ansehen. Und dieser Blick in die arabischen Länder, die Türkei, nach Italien, China und Thailand zeigt, dass die geplante Gesetzesnovelle nicht den Kulturgüterschutz erhöhen wird. In letzter Konsequenz werden die von der Regierung derzeit diskutierten Vorschläge dazu führen, dass große Teile des kulturellen Erbes der Menschheit dazu verdammt sind, in Bürgerkriegsländern zerstört zu werden oder in feuchten Zolllagern an Flughäfen oder in Kellern von armen Provinzmuseen auf ewig den Blicken von Schülern, Wissenschaftlern und Kulturinteressierten entzogen zu sein.

Die Exportverbote der Herkunftsländer

Fast alle Länder Asiens haben im 20. Jahrhundert damit begonnen, die Ausfuhr von Antiken und Antiquitäten unter Strafe zu stellen. Mit seiner Jahrtausende alten Hochkultur stellt China ein gutes Beispiel dar.

China war lange Zeit Opfer von deutschen und britischen Hobbyarchäologen entlang der Seidenstraße. Zwischen 1900 und 1930 wurden tausende zumeist buddhistischer Kulturgüter – Schriftrollen, Fresken, Figuren etc. – entwendet oder günstig erworben und nach Europa verbracht. In Berlin Dahlem ist so die Sammlung des Museums für Asiatische Kunst entstanden.

China hat dann nach den unvorstellbaren Zerstörungen von Kulturgut während der japanischen Besetzung, während des Bürgerkrieges und der selbst initiierten Kulturrevolution der 60er Jahre ein äußerst rigides Kulturgutschutzgesetz verabschiedet, welches zuerst den Export aller Antiquitäten von vor 1911 und seit kurzem von vor 1949 unter Strafe stellt. Gleichzeitig beansprucht der chinesische Staat jedes zufällig gefundene Stück für sich - ohne Anerkennung für den Finder. Damit unterscheidet er sich nicht von Thailand, Indonesien oder der Türkei. Erst vor drei Jahren wurde die Todesstrafe für den illegalen Export abgeschafft. Jeder Ausländer oder Einheimische, der das Land verlässt, muss sich in seiner Wohnung einer Inspektion durch das Cultural Relict Office unterziehen und allem, was auch nur irgendwie alt aussieht, wird zumeist die Ausfuhr verweigert. Da diese Relict Officer ähnlich „gut“ geschult sind wie deutsche Zollbeamte, kann dann auch durchaus einem Meissener Zwiebelmusterteller im persönlichen Umzugsgut die Rückführung aus China verwehrt bleiben, da es ja einem blau-weiß Porzellan der letzten Kaiserdynastie ähnlich sieht.

Weniger skurril jedoch genauso bedenklich ist die Tatsache, dass das Exportverbot dann nolens volens auch für alle in China befindlichen Antiken aus der Mongolei, Vietnam oder Thailand besteht - mit der ähnlichen Begründung, dass man ja nicht den Unterschied zu chinesischen Kulturgütern erkennen könne. Grund für dieses willkürliche Vorgehen der Behörden ist eine äußerst schwammige Definition von Kulturgut, die zwar unterscheidet zwischen verschiedenen Kategorien von Kulturgütern nationaler Bedeutung (z.B. die Terrakottafiguren in Xian oder die Schätze in der Verbotenen Stadt gehören in die höchste Kategorie), aber diese Kategorien nicht eindeutig abgrenzt - weder inhaltlich, noch wertmäßig oder altersmäßig.

Es gibt nicht wie bislang in Deutschland eine einsehbare Liste von Kulturgütern, für die Abwanderungsverbote bestehen. Genau diese unscharfen Kategorisierungen sollen künftig auch für die Ein- und Ausfuhr an deutschen Grenzen gelten, und wird damit Zollbeamte in eine ähnliche Notlage bringen, selbst zu entscheiden, was von nationaler Bedeutung ist.

Niemand bestreitet das Recht eines Staates, zentrale und bedeutende Kulturgüter zu nationalem Eigentum zu erklären und Diebstahl und Zerstörung mit aller Schärfe zu verfolgen. Bedeutet dies jedoch auch, dass zukünftig beispielsweise jedes chinesische Porzellan in Europa Provenienznachweise oder Ausfuhrbescheinigungen braucht, um den Besitzer vor Strafverfolgung zu schützen? Allein zwischen 1700 und 1800 hat China Schätzungen zufolge mehr als 50 Millionen Stück nach Europa exportiert. Experten fordern daher zurecht von den Staaten, dass sie ihre Ansprüche spezifizieren und unbeschränkt zugängliche digitale Datenbanken schaffen, die alle national wertvollen Kulturschätze ausweisen und zugleich geraubte Objekte auflisten. Anstatt Zollbehörden hoffnungslos zu überlasten, wären dies sinnvoll investierte Mittel, um Rückgabeansprüchen gerecht zu werden und illegale Handelswege auszutrocknen.

Kulturgüter für die Welt: Staat oder Privat?
Ein zweites Beispiel aus Asien ist der Fall des australischen Meeresarchäologen Michael Hatcher, der in den 90er Jahren Opfer thailändischer Willkür wurde. Unter großen Mühen hatte er mit seinem Team in wochenlangen Tauchgängen mehr als 2000 thailändische Keramiken aus einer gesunkenen chinesischen Dschunke in internationalen Gewässern geborgen, kartiert, dokumentiert und sicher verpackt. Das Wrack befand sich 55 sm entfernt von der thailändischen Küste und damit außerhalb der Hoheitsgewässer des Landes. Dennoch war er hilflos, als in einem Akt der Piraterie die thailändische Marine sein Schiff aufbrachte und alle Kisten an sich nahm. Statt wie bei seinem früheren Fund – der 1752 vor der Küste Singapurs gesunkenen holländischen Geldermalsen – sind diese 2000 Stücke der Öffentlichkeit kaum zugänglich und werden nun als Kulturgüter mittlerer Kategorie im Lager eines thailändischen Museums aufbewahrt. Die Keramiken waren rd. 400 Jahre alt und ursprünglich für den Export in die Nachbarländer bestimmt.

Der Porzellanfund der Geldermalsen ist ein schönes Beispiel, wie es anders laufen kann. Das Schiff hatte in Kanton chinesisches Porzellan geladen und war auf dem Weg über das Kap in die Niederlande, als es 1752 auf ein Riff lief und sank. Der Kapitän überlebte die Katastrophe nicht und mit ihm ertranken viele Matrosen. Fast 250 Jahre lag das Schiff samt Ladung auf dem Grund des Meeres. Hatcher fand nach langer Suche das Schiff mit Hilfe moderner Messgeräte und barg den Schatz: unter anderem 60.000 Teetassen, 25.000 Kaffeetassen und Untersetzer, Teller, Schüsseln und selbst Spuknäpfe in blau-weiß Dekor. Um die Kosten der Expedition und für die Bergungsaktion zu decken, veräußerte er den größten Teil des Fundes bei Christie’s in Amsterdam – quasi mit zweieinhalb Jahrhunderten Verspätung am eigentlichen Bestimmungsort.

Museen aller Welt kauften Stücke und über 20.000 Menschen nahmen an der Auktion teil. Menschen, die noch nie in ihrem Leben altes Porzellan gesehen hatten, konnten Stücke erwerben, anfassen, studieren, die selbst nach 250 Jahren unter Wasser noch gebrauchsfähig waren. Es handelte sich um Exportporzellan, das sich am Geschmack der Europäer der damaligen Zeit orientierte und auch heute noch begeistern kann. Das Porzellan wurde in China produziert, um die Freude am weißen Gold in die Welt zu tragen. Dies wurde mit viel Verspätung erreicht und selbst heute noch können Stücke mit dem alten Auktionslabel von 1986 erworben werden. Dies schafft die Verbindung der Menschen zu Kulturgütern und schafft zudem die Wertschätzung für den Handel, wie er zwischen Asien und Europa schon seit Jahrhunderten stattfindet. Wäre das Schiff in thailändischen, indonesischen oder chinesischen Hoheitsgewässern gefunden worden, würden 150.000 Stücke Exportporzellan heute in einem Museumskeller in Kisten gestapelt liegen zum angeblichen Schutz der „eigenen“ kulturellen Identität.

In China hat die nationale Gesetzgebung zur Folge, dass in den Zolllagern der Flughäfen zehntausende von Stücken unter erbärmlichen Bedingungen gelagert werden, die irgendwann einmal von Beamten konfisziert wurden, die im Zweifelsfall nicht in der Lage waren zu erkennen, ob die Antiquität bereits zu den verbotenen Stücken von vor 1949 gehörte oder erst danach entstanden ist. Darunter sind kaum Antiquitäten der höchsten Kategorie, aber viel Gebrauchsporzellan, Schmuck und Bilder, die von ihren Besitzern beschlagnahmt wurden. Widerspruch ist zwecklos, da es sich nicht um einen Rechtsstaat handelt, wie viele der Ursprungsländer. Die USA bringen daher bewusst die rigiden Exportgesetze Chinas nicht an den eigenen Grenzen zur Anwendung. Dies hat sicherlich mit dem rechtmäßigen Interesse der vielen chinesischen Auswanderer zu tun, denen man nicht den Schmuck konfiszieren wollte, nur weil er vor 1949 produziert wurde.

Deutschland plant jedoch ausnahmslos alle nationalen Bestimmungen (140 Länder auf der Welt haben Kulturgutschutzgesetze) einschließlich aller beschriebenen Abstrusitäten an den eigenen Grenzen zu spiegeln und gemäß der jeweiligen nationalen Gesetze Einfuhrkontrollen und Einfuhrverbote zu verhängen – falls nicht eine Exportbescheinigung aus dem Ursprungsland vorliegt. Ausnahmlos bedeutet, dass deutsche Behörden auch die Gesetze von autoritären Staaten und Militärdiktaturen - wie Thailand, Syrien und Ägypten - zur Anwendung bringen wollen. Der Fall des Meissener Tellers hat gezeigt, dass diese Ausfuhrgenehmigung aber häufig nicht zu bekommen ist. In letzter Konsequenz müsste daher der deutsche Zollbeamte in der Zukunft die Kulturgutschutzgesetze aller Länder kennen und Kulturgüter anderer Staaten konfiszieren und in die Herkunftsländer zurücksenden – ggf. direkt in die Hände islamistischer Regierungen, die wie im Falle Mossul und Bamiyan vielleicht schon das Lufthansaflugzeug mit dem Presslufthammer in der Hand erwarten.

Dass es sich bei China nicht um einen Ausnahmefall handelt, zeigt das Beispiel Italien. Italien hat vergleichbar strikte Ausfuhrkontrollen für Antiken, Antiquitäten und Kunst. Nichts, was älter als 50 Jahre ist, darf ohne Bescheinigung das Land verlassen. Eine Handzeichnung aus den 60er Jahren fällt zuweilen bereits darunter und auch ein Alfa Romeo in sammelwürdigem Oldtimerzustand bräuchte diese Genehmigung. So schafft man illegale Märkte. Nach Inkrafttreten der Novelle dürfte dann der grenzüberschreitende Kulturtransport der wahrscheinlich größte illegale Markt der Welt sein, denn die Einreise von Italien nach Deutschland mit einer alten Olivettischreibmaschine ohne Ausfuhrlizenz ist damit ein Gesetzesverstoß.

Inkonsistente oder intransparente Gesetzgebung und willkürliche Anwendung durch Behörden trägt in vielen Herkunftsländern maßgeblich dazu bei, dass Kulturgüter in der Illegalität befördert oder gehandelt werden. Und dies mit verheerenden Folgen für die Stücke, die versteckt in Koffern beschädigt werden, von ihren Dokumenten getrennt werden, um das Alter zu verschleiern, etc.

Es ist zu einfach gedacht, die Schuld den Besitzern, Sammlern und Kunsthändlern zu geben. Es sind häufig die Staaten selbst, die die Bedingungen für Illegalität schaffen und zu wenig in den Schutz und Erhalt der national bedeutenden Kulturgüter investieren. Gemeinsame Projekte Deutschlands mit den Herkunftsländern, wie die des Deutschen Archäologischen Instituts oder der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit können hier wertvolle Hilfe leisten.

Die geplante Novellierung nimmt Deutschland jedoch zukünftig jede Verhandlungsmacht, im Rahmen der bilateralen kulturellen Zusammenarbeit Verbesserungen in den Ursprungsländern selbst einzufordern, da deren Kulturgutschutzgesetze ja bereits vorab ohne Vorbedingungen anerkannt werden. Hier wäre es doch sinnvoller, dem Beispiel der USA zu folgen und die gemeinsame Verantwortung zu definieren, bevor man so weitreichende Zugeständisse macht.

Hinter der Verhütung rechtswidriger Einfuhr von Kulturgütern steht die Idee, dass Kulturgüter in ihren Ursprungsländern den größten Schutz genießen. Hieran ist jedoch nach den Erfahrungen mit Zerstörungen durch Einheimische in Syrien, dem Irak, in Afghanistan, in Mali, während der Kulturrevolution in China und den Staudamm- und Städtebauten in Schwellenländern Zweifel angebracht. Bulldozer haben fast alle chinesischen Altstadtviertel – von Kaschgar im Westen bis Peking im Osten beseitigt. Der Etat für Kultur in Entwicklungsländern ist gering und der Anreiz armer Bauern oder unterbezahlter Museumsmitarbeiter, zufällig gefundene oder bereits im Keller gelagerte und nicht ordentlich dokumentierte Antiken zu verkaufen, ist hoch – egal wie niedrig die Preise sein mögen.

Es ist unbestritten, dass Antiken erst ihren wirklichen historischen Wert erhalten, wenn man den Fund- oder Grabungsort dokumentieren kann; doch wenn links und rechts die Granaten einschlagen, Ökonomien wie in Ägypten zusammenbrechen und Millionen Flüchtlinge wie in Syrien und dem Irak unterwegs sind, ist der Erhalt doch wohl durch kein Kulturgutschutzgesetz der Welt zu sichern. Daher liegt der Verdacht nahe, dass hinter den Gesetzesinitiativen doch auch ganz andere Überlegungen stecken und die Archäologie instrumentalisiert wird. Der Staat möchte den Blick auf das Gemälde im Schlafzimmer seiner Bürger werfen.

Hinter dem Anliegen, die sogenannte Abwanderung von Kulturgütern zu unterbinden, bzw. den Handel durch staatliche Ausfuhr-, Einfuhr- und Herkunftsbescheinigungen zu beschränken, steckt ein in Zeiten der Globalisierung seltsam anmutender Wunsch nach nationaler kultureller Reinheit. Doch Staatsgrenzen von heute haben wenig mit den Imperien und Kulturräumen der Vergangenheit zu tun. Die Überreste römischer Kultur finden sich in über 25 Ländern und die kulturellen Wirkungen sind weltumspannend. Dennoch haben viele dieser Länder Gesetze verabschiedet, die zur Wahrung „ihrer“ kulturellen Identität, die Ausfuhr römischer Antiken in ein Nachbarland des gleichen Kulturraums unter Strafe stellt. Angesichts immer globaler werdender Arbeitsmärkte und der Freizügigkeit der Menschen, die sich mit Erinnerungsstücken und Kunstgegenständen über Grenzen hinweg bewegen wollen, ist diese Gesetzgebung antiquiert.

Meine Kinder entstammen einer deutsch-chinesischen Beziehung – sie sind Eurasier. Die Seidenstraße, das Porzellan der Geldermalsen, die eurasische Kunst Alexanders des Großen wie auch die römische und chinesische Kultur gehören zu ihrer Identität. Nationale kulturelle „Reinheit“ ist ein Begriff, der ausgrenzt und uns nach den grausamen Vertreibungen des 20. Jahrhunderts eher schaudern lässt. Markus Hilgert, Direktor des vorderasiatischen Museums zu Berlin, sagt zurecht, dass die assyrischen Skulpturen des Irak auch unsere kulturellen Wurzeln sind [1]. Warum er zugleich der Verstaatlichung und dem Ausfuhrverbot dieser Kulturgüter im Irak das Wort redet, wird sein Geheimnis bleiben.

Natürlich gehören babylonische und ägyptische Skulpturen auch nach Berlin und Paris – sie vermitteln die gemeinsame kulturelle Herkunft und Verbindung der Menschen und schaffen die kulturelle Identität einer globalisierten Welt. Und der blau-weiße Zwiebelmusterteller gehört auch nach China. Er basiert auf einem Original aus China des 18. Jahrhunderts. Das Kolbaltblau haben die Mongolen aus dem Iran nach Peking gebracht und das Dekor ist arabisch. Weltkulturerbe im besten Sinne des Wortes. Und kein Staat hat das Recht, dies einzig für sich zu beanspruchen.

Thorsten Giehler
Frankfurt, 15.05.2015

Der Autor hat von 1997 bis 2000 bei den Vereinten Nationen in Italien gearbeitet und in den letzten acht Jahren in China gelebt. Er arbeitet für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Eschborn. Der Inhalt des Artikels spiegelt seine persönliche Meinung wider.




[1] Markus Hilgert „Es sind auch unsere Wurzeln“ http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/was-nach-der-zerstoerung-... . 07.03.2015

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