03.12.2024 | Die Rückkehr zur Ermäßigung ist kein Steuergeschenk

Unter diesem Titel erschien der nachfolgende, überarbeitete Beitrag von Birgit Maria Sturm am 26. November 2024 in WELTKUNST INSIDER, dem online Briefing für die Kunstbranche.

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Am Freitag, 22. November sprach es sich in Windeseile herum: Ab 2025 können Galerien und Kunsthandel wieder den ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwenden. Der Bundesrat hatte in seiner Plenarsitzung an diesem Tag über das sog. Jahressteuergesetz 2024 abgestimmt, das bereits am 18. Oktober vom Deutschen Bundestag – glücklicherweise noch vor dem Crash der Regierung – angenommen wurde und eine entsprechende Regelung enthielt.

Die Rückkehr zur Ermäßigung ist kein „Steuergeschenk“. Sie beendet die Ungleichbehandlung von Künstlern und Galerien sowie die Ungleichbehandlung des Kunstmarktes gegenüber anderen Sparten der Kulturwirtschaft nach geschlagenen elf Jahren.

Die ermäßigte Mehrwertsteuer dient in Deutschland seit Jahrzehnten der indirekten Förderung von Kulturschaffenden und -unternehmen. Dies wollte die EU aus unerfindlichen Gründen für – oder besser: gegen – den Kunsthandel aushebeln, denn gleichzeitig wurden die 7 Prozent Mehrwertsteuer für die Urheber beibehalten. Die Bundesregierung ignorierte die für Galerien und Kunsthändler fatale Mehrwertsteuerrichtlinie, und so begann im Februar 2012 mit der Androhung eines Vertragsverletzungsverfahrens der EU ein schier endloser Kampf.

Der Bundesverbandes Deutscher Galerien und Kunsthändler (BVDG) brachte den damaligen Kulturstaatsminister Bernd Neumann dazu, sich erstmals mit dem deutschen Kunstmarkt zu befassen. Alle Hebel wurden in Bewegung gesetzt, um wenigstens eine Kompensation zu bewirken. Nach zahllosen Gesprächen – auch mit der Fachabteilung des Bundesfinanzministeriums, damals unter Führung von Wolfgang Schäuble – wurde eine spezielle Margenbesteuerung in den Blick genommen. Das „französische Modell“, das eine Regelbesteuerung von nur 30 Prozent des Verkaufspreises vorsah, sollte in das Steuerpaket 2014 eingehen. Aber die Finanzminister der Bundesländer unter der Ägide des späteren SPD-Chefs Norbert Walter-Borjans stampften das Vorhaben so sehr zusammen, dass es de facto nicht mehr angewendet werden konnte.

Das sinnlos in die deutsche Kunstwelt implementierte Chaos ging primär zulasten der Galerien, denen die Erlöse wegschmolzen. Derweil behielten die kunstmarktstarken Mitgliedstaaten der Union den reduzierten Satz einfach bei oder kaschierten ihn. Es folgte ein schleichendes Verschwinden inländischer Galerien ab 2014. Eine Studie im Jahr 2018 kam zu dem bitteren Ergebnis, dass 80 Prozent der Berliner Galerien die Frage, ob sie ihren Beruf noch einmal ergreifen würden, mit „Nein“ beantworteten.

Fast täglich war der BVDG seither mit der Klärung von Fragen seiner Mitglieder, mitunter sogar von irritierten Steuerberatern konfrontiert. 19 Prozent oder Differenzbesteuerung – und wie funktioniert die überhaupt? Nur bei An- und Verkauf oder auch bei Kommissionen? Und woran bemisst sich der Anteil des Künstlers? Oder lieber Agenturmodell? Was tun im Falle von Kooperationen, bei Provisionszahlungen – je nach dem im Inland, im Binnenmarkt oder in Drittstaaten? Mal bei Privatkunden, mal B2B? Das Ganze im Verbund mit Künstlersozialabgaben, Abschlägen und steuerlichen Unterschieden in den übrigen EU-Ländern? Die Ausdehnung der Verkomplizierung kannte keine Grenzen.

Zwischenzeitlich brachen unter anderem das Kulturgutschutzgesetz und die Pflichten zur Geldwäscheprävention über den Kunstmarkt herein und führten zu weiteren Unwuchten. Die Aktivitäten des BVDG verlagerten sich. In der Not wurde eine Interessengemeinschaft aller Kulturgutverbände gegründet. Dann kam Corona. Plötzlich schärfte sich die Erkenntnis der Politik dahingehend, dass es neben dem subventionierten Kulturbereich auch unternehmerische Kunstvermittlung gibt: dass Galerien kulturelle Basisarbeit leisten, dass bei ihnen Kunstwerke nicht für Millionen unter den Hammer kommen und dass sie eine wichtige Rolle für die wirtschaftliche Existenz und die Karriere der bildenden Künstler spielen. So gab es in der Pandemie erstmals nennenswerte Unterstützung für Galerien, und der BVDG fuhr in diesem Setting seine Aktivitäten zur Mehrwertsteuer wieder hoch: Galerien brauchen nicht nur temporäre Hilfe, sondern nachhaltige, bessere Rahmenbedingungen.

Der Claim „7statt19“ – vom BVDG bereits seit 2012 auf Magnetbuttons und Plakate gedruckt und verbreitet – wurde nun allgegenwärtig gesetzt und fand Gehör bei Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die unter Flankenschutz des Finanzressorts im Jahr der deutschen Ratspräsidentschaft 2020 eine Änderung der Mehrwertsteuer-Richtlinie 2006/112/EG bewirken konnte. Die Novelle von April 2022 setzte „Kunstgegenstände“ explizit auf eine Liste an Gütern, welche die EU ihren Mitgliedstaaten zur Begünstigung freistellte. Damit lag die notwendige Rechtsgrundlage endlich auf dem Tisch.

Jedoch gab es für die Umsetzung in nationales Steuerrecht keinen Automatismus und der BVDG begab sich abermals ante portas. In der mittlerweile vierten Regierungskonstellation mit neuen Ansprechpartnern auf allen Ebenen schrieb sich auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth die 7 Prozent auf die Fahne, und so enthielt der am 6. Juni 2024 veröffentlichte Regierungsentwurf über steuerliche Neuregelungen einen entsprechenden Passus.

Das einhundert Seiten umfassende Jahressteuergesetz tritt mit dem Anspruch auf, vielen gesellschaftlichen Kreisen das Leben zu erleichtern – Arbeitnehmern, pflegenden Angehörigen und Geringverdienern ebenso wie kleinen Bierbrauereien und Anbietern von Photovoltaik. Es ist eine positive Hinterlassenschaft der Ampel und gründet auf nationaler Rechtsprechung, EU-Vorgaben sowie auf dem ursprünglichen steuerpolitischen Willen der gesprengten Regierungskoalition.

Die für den Kunsthandel relevante Stelle verbirgt sich fast unkenntlich im Kapitel zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes in einer knappen Zeile: „§ 12 Absatz 2 wird wie folgt geändert: a) In Nummer 1 werden die Wörter mit Ausnahme der in der Nummer 49 Buchstabe f, den Nummern 53 und 54 bezeichneten Gegenstände gestrichen.

Bei Nummer 53 handelt es sich um Kunstgegenstände, bei Nummer 54 um Sammlungsstücke (bei 49 f um Briefmarken). Diese waren von der Reduktion in den letzten elf Jahren ausgenommen. Die Ausnahmen wurden gestrichen. Sie sind also wieder im Katalog ermäßigter Güter enthalten.

Kein Erfolg ohne Schattenseite. Fotografien werden weiterhin nicht begünstigt – ungeachtet ihrer künstlerischen Qualität. Dies gilt auch für Kunstwerke, die via Belichtungstechniken entstanden bzw. nicht „vollständig mit der Hand geschaffen“ sind, wie es im Zolltarif heißt. Also beispielsweise Serigraphien oder Offset-Drucke. Dieser Anachronismus wurde beispielsweise in Frankreich und Belgien längst durchbrochen – dort kann künstlerische Fotografie in niedrigen Auflagen sehr wohl steuerermäßigt verkauft werden.

Ferner kann die Differenzbesteuerung auf Kunstwerke nicht mehr angewendet werden, wenn der Eingangsumsatz des Wiederverkäufers einem ermäßigten Steuersatz unterlag (Änderung UstG § 25a Abs. 7, Nr. 1c – neu).

Und schließlich: Während Frankreich den denkbar niedrigsten Satz von 5,5 Prozent nutzen wird, wurde die Ermäßigung in einigen anderen europäischen Ländern offenbar nicht eingeführt. Über die Folgen und weitere Details kann sich der BVDG erst dann äußern, wenn zuverlässige Informationen vorliegen.

Zunächst gilt es, die Veröffentlichung des sogenannten „Anwendungserlasses“ des Bundesfinanzministeriums zwecks bundeseinheitlicher Verwaltung der Neuregelungen abzuwarten und zu sichten. Dies sollte spätestens zum Jahreswechsel 2024/25 geschehen.


Abb.: Ausstellungsinstallation Tammam Azzam. Bilder ohne Namen. Untitled Pictures 2021. Courtesy Kornfeld Galerie und Tammam Azzam

Ausstellungsinstallation Tammam Azzam. Bilder ohne Namen. Untitled Pictures 2021. Courtesy Kornfeld Galerie und Tammam Azzam