12.06.2020 | Kulturwirtschaft neu denken

In der Kulturpolitik ist ein Umdenken vonnöten: Die Integration der Kulturwirtschaft als Bestandteil der Kultur, um die sich gekümmert werden muss, ist dabei maßgeblich. Unser gekürzter Beitrag zum Thema ist gerade in der aktuellen Mai/ Juni-Ausgabe der "Kunstzeitung" erschienen. Hier finden Sie den Text in voller Länge.

Wir haben als Verband schon einige Zerreißproben erlebt - Corona stellt alles in den Schatten. Galerien waren als Teil des gesamten Kulturbetriebs – parallel zur Schließung der Museen und mit Absage der Kunstmessen – von Anfang an vom Shutdown und seinen Auswirkungen betroffen. Für sie und den BVDG ist jetzt Kreativität angesagt, flexibles Handeln, neues Denken.

Zu unserer Tagung „Fair und gerecht?“ war eine Publikation geplant – die wird es nun digital geben. Wir haben der ART COLOGNE und der Preisverleihung an den großartigen Sammler Wilhelm Schürmann entgegengefiebert – das holen wir im November nach. Unser „Praxistag für Galerien“ wurde vom Juni in den Oktober verlegt. Worum geht es? In Kooperation mit der IHK Köln bitten wir einmal jährlich Experten auf einer Tagung über Themen zu sprechen, die für die konkrete Galeriearbeit wichtig sind. Rund 130 Galerien und Kunstmarktfreunde erfahren hier Essentials über Kalkulation, Logistik, Digitalisierung, Kunstbewertung, Versicherungen, Provenienzrecherche et cetera. Juristen versuchen Licht in den Dschungel der zahllosen gesetzlichen Regulierungen zu bringen, mit denen der Kunstmarkt in den letzten Jahren geflutet wurde.

Wie unter einem Brennglas verdichten sich im Kunstmarkt die Vorbehalte, die in Deutschland gegenüber der Wirtschaft und dem Unternehmer gepflegt werden. Der Galerist gilt stets als Gewinner, der Künstler per se als schutzbedürftig. Dieses Denkmuster hat dazu geführt, dass öffentliche Förderung im Kunstbereich fast ausschließlich Institutionen und Künstlern zugutekommt. Regelungen im Urheber- und Sozialrecht und insbesondere im Steuerrecht gehen hingegen primär zulasten des Kunstmarktes.

Dabei haben Galerien der Amazonisierung standgehalten und kein anderer Wirtschaftszweig arbeitet so nachhaltig wie der Kunsthandel. Er hegt und pflegt die Wa(h)re Kunst über Jahrhunderte und bringt sie immer wieder in den Kreislauf. Zu Sammlern, die sie lieben, schätzen und kaufen. Allein dafür gebührt den Kunstmarktakteuren gesellschaftspolitische Wertschätzung. Aber die Öffentlichkeit denkt, und die Medien repetieren meist das, was sie über diesen diffizilen Markt zu wissen glauben. Im Vordergrund steht dabei oft ein spektakulärer Auktionszuschlag oder ein singuläres Skandalon und seine Zurüstung zur Regel.

Galerien sorgen sich, ebenso wie die Museen in der Corona-Krise um ihre Ausstellungen und wie es in den kommenden Monaten weitergeht. Aber Galerien sind – ebenso wie die Künstler*innen – nicht mit sicherem Einkommen versorgt. Die finanziellen Hilfsprogramme von Bund und Ländern haben vorübergehende Entlastung geboten. Was aber folgt? Die über Wochen, vielleicht Monate angeschwollenen Verluste werden nicht zu kompensieren sein. Auch nicht durch neue digitale Präsentationsformate. Man frage einen Spediteur, ob sich derzeit Kunst von A nach B bewegt. Nein, sie bewegt sich nicht. Wir arbeiten derzeit an einem Masterplan für den deutschen Kunstmarkt nach der Corona-Krise. Klar ist: Da ist die Mitwirkung der Politik auf Landes- und Bundesebene gefordert.

Als pragmatische Idealisten sind Galerien die Partner, Anwälte und Gatekeeper für ihre Künstler. Beide gehen in Vorleistung: Künstler schaffen die Werke, die Essenz, die vermittelt werden will. Galerien bieten Räume und Netzwerke, einen Kontext und Infrastruktur, Öffentlichkeit und Finanzierung. Die „Lieferkette“ im Galeriebetrieb ist kurz und die Arbeit der Galerien ist vom Vertrauen in die Arbeit der Künstler*innen und in ihr Potential getragen. Nur dieser Schulterschluss ermöglicht langfristige Präsenz, Anerkennung und wirtschaftlichen Erfolg für beide Seiten.

Die Pandemie verursacht nicht nur einen gefährlichen Impact auf die physische Existenz der Menschen, sondern sie führt mit ihrer lähmenden Schockwirkung auf die Wirtschaft auch dem letzten Ungläubigen vor Augen, wie elementar eine funktionierende Ökonomie für das soziale und kulturelle Leben ist. Die Wirtschaft – das sind WIR alle. Schaut auf den Anfang dieses Wortes. Und so eben auch: KulturWIRtschaft. Sie ist das Kraftzentrum der Kultur. Und wozu überhaupt Kultur? Weil sie, wie der Soziologe Heinz Bude so schön sagt, zur Verfriedlichung der Gesellschaft beiträgt.

Eine wichtige Solidaradresse hat der BVDG in der Covid-Not jüngst für seinen politischen Dauerbrenner erhalten. In einer gemeinsamen Erklärung haben fünf deutsche Künstlerverbände die Wiedereinführung der ermäßigten Mehrwertsteuer für den Kunsthandel gefordert, die ihm vor sechs Jahren genommen wurde. Und zwar als Bestandteil eines nachhaltigen Förderprogramms zur Sicherung des Einkommens der Künstler für die Zeit nach Corona. Die deutsche Kulturpolitik kann jetzt endlich einmal etwas Sinnvolles, Notwendiges und Gerechtes für den Kunstmarkt leisten. Sie muss es nur wollen – eine Chance steht vor der Tür. Ab Juli dieses Jahres geht der Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft an Deutschland und bietet jede Menge Möglichkeiten zur Gestaltung und für Korrekturen.

Birgit Maria Sturm

Dieser Beitrag erschien gekürzt in der KUNSTZEITUNG, Ausgabe Mai-Juni 2020
Verlag Lindinger & Schmid, Berlin